Einen familientauglichen, höflichen Hund bitte! – Geliefert, wie bestellt?
Gerade jetzt in der Corona-Zeit entscheiden sich immer mehr Menschen, einen Hund bei sich aufzunehmen. Das ist an und für sich toll und natürlich ist diese Phase durch die viele Zeit zuhause geeignet, um einen Hund in die Familie einzugewöhnen und das Alleine bleiben mit ihm zu trainieren, damit er später auch mal problemlos ein paar Stunden alleine zuhause bleiben kann. Aber: Diese Entscheidung sollte trotzdem wohlüberlegt sein, da sie persönliche Nachteile und Verzicht mit sich bringen kann.
Ein Freund und Begleiter in allen Lebenslagen soll es werden. Er geht mit ins Büro und umgarnt dort die Kollegen mit seinem ausnahmslosen Charme. Beim Feierabendbier legt er sich gelassen und unauffällig unter den Tisch im Biergarten und döst. Zuhause spielt er dann ausgelassen mit den Kindern im Garten (natürlich ohne den Einsatz seiner Zähne) und lässt geduldig alles über sich ergehen. Spazierengehen ist ohne Leine möglich, er hört auf den Rückruf und ist verträglich mit allen Artgenossen, die einem da so begegnen. Auch Fahrradfahrer, Skater, Jogger oder Rollstuhlfahrer sind für ihn kein Grund aus der Hose zu hüpfen.
So oder so ähnlich, sind die häufigsten Vorstellungen von Menschen, die sich einen Hund zulegen möchten. Nur woher bekomme ich so einen Hund?
Aus dem Tierheim holen? “Aber… bei denen weiß man ja nie, was die schon erlebt haben – das ist zu riskant, das wird ja einen Grund haben, warum die dort sitzen.”
Oder doch lieber einen Welpen! Da weiß man schließlich was man bekommt und vor allem: Wenn man ihn von klein auf bei sich hat, dann wird der auf jeden Fall “normal” im Sinne von gut verträglich und stressresistent.

Bilder: Carolin Hess
GELIEFERT WIE BESTELLT? SCHÖN WÄRS…
Und dann zieht er ein: Der süße Welpe, der einfach nie zur Ruhe kommt, mit seinen kleinen fiesen Milchzähnen unsere Schmerzgrenzen überschreitet und uns auf Schritt und Tritt folgt, um mit unseren Füßen Kämpfe auszutragen. Pipi machen zur Pipi-Runde? Nö, ist doch so spannend draußen. Pipi machen reicht dann, wenn wir wieder im Wohnzimmer sind! In der Pubertät läuft alles immer mehr aus dem Ruder und zack: Der Hund, der eben noch ein niedlicher Welpe war, den man doch von Anfang an großziehen wollte, damit er der perfekte Hund wird, bellt jetzt alles an, was ihm in die Quere kommt, schnappt bei der Fellpflege nach den Besitzer:innen und stellt zuhause Onkel Hans an die Wand (warum kommt der auch einfach rein…!? ;-)).

Viele Rassen haben eine genetische Veranlagung zum Bellen. Es empfiehlt sich sehr, von Beginn an daran zu trainieren.
WAS IST PASSIERT?
Die meisten Menschen, die einen Hund aufnehmen, machen sich vorab schon einige Gedanken: Beispielsweise wie viel Arbeit es bedeutet, täglich mehrmals mit dem Hund rauszugehen, welche Kosten auf einen zukommen könnten, wie der Hund ausgelastet werden kann und auch, dass man an gewisse Strukturen gebunden und die Freiheit eingeschränkt sein wird, weil man Verantwortung für ein anderes Lebewesen übernimmt.
Diese Dinge sollten auch alle bedacht und gut überlegt sein. Was aber nach meinem Empfinden oft etwas in den Hintergrund gerät ist:
Wie sich ein Welpe oder ein erwachsener “Second-Hand”-Hund (weiter) entwickeln wird, hängt von sehr vielen Faktoren ab und ist vor allen Dingen nicht mit Sicherheit vorhersehbar. Nie.
Natürlich gibt es einige Möglichkeiten bzw. Auswahlkriterien, die die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund gut zu mir und meinem Leben passt, deutlich erhöhen (können).
ABER…
Das sind und bleiben Wahrscheinlichkeiten und jeder Hund ist nunmal ein Individuum, das eigene genetische Bedingungen mitbringt und sich aufgrund unterschiedlichster Umwelteinflüsse auch individuell entwickeln wird.
Irgendwas kommt immer anders, als man denkt.
Im zweiten Teil dieser Reihe gehe ich darauf ein, worauf man achten kann bzw. sollte, wenn man einen für sich passenden Hund sucht.
Abgesehen davon, dass man bei Welpen auch nicht sicher weiß, wie sie sich entwickeln werden, kann man auch einen erwachsenen Second-Hand-Hund, den man besucht, immer nur bedingt einschätzen. Natürlich kann man Tendenzen sehen (wie z. B. Ängste oder Unsicherheiten vor verschiedenen Lebewesen/Reizen). Aber zum einen könnte die Umgebung einen falschen Eindruck vermitteln (Pflegestelle auf dem Dorf = wenig Reize = Hund gelassener vs. Käufer wohnt in der Innenstadt = sehr viele Reize). Viele Hunde werden z. B. auch erst Wochen oder Monate später, nämlich dann, wenn sie sich endgültig angekommen und sicher fühlen, gewisse Verhaltensweisen zeigen. Vorher sind sie ggf. in diesem Verhalten gehemmt, weil sich für sie alles auf den Kopf gestellt hat und sie schlicht und einfach völlig überfordert sind. Das muss nicht passieren, aber man sollte wissen, dass es im Bereich des Möglichen liegt und gar nicht mal so unwahrscheinlich ist.
Außerdem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass mit der Zeit und den verschiedenen Entwicklungs- und Lebensphasen des Hundes auch immer wieder neue Herausforderungen, auf einen zukommen können. Gerade entwicklungs- und erfahrungsbedingte Verhaltensänderungen können sich als schwierige Aufgabe im Alltag herausstellen.
Es gibt keine Garantie für einen “perfekten” oder “gut funktionierenden” Hund.
Man sollte bereits bei der Überlegung einen Hund aufzunehmen, auch eine gewisse Bereitschaft mitbringen, aufkommende Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.
Das heißt auch: Zeit und Geld zu investieren.
Eine kompetente und frühzeitige Betreuung durch Expert:innen (Tierärzt:innen, Hundetrainer:innen, Physiotherapeut:innen etc.) kann ihnen helfen, Vieles gar nicht erst zum Problem werden zu lassen.
FAZIT:
Ich möchte Bewusstsein schaffen dafür, dass ein Hund ein Lebewesen ist, das man nicht nach Wunsch aus dem Katalog bestellen kann und das dann geliefert wird, wie bestellt. Es ist ein Lebewesen, das wir mit jedem Tag besser kennenlernen (dürfen), mit all seinen Facetten. Dadurch ist eben auch nicht alles vorhersehbar. 100%ige Kontrolle und Planbarkeit passen in meinen Augen einfach nicht mit dem Zusammenleben mit einem Hund zusammen. Ein (neuer) Hund stellt unser Leben auch immer ein bisschen auf den Kopf. Aber genau das macht es auch irgendwie so bereichernd.