Reaktivität an der Leine behutsam und effektiv beheben: Distanz-Emotions-Training nach Bina Lunzer
DISTANZ-EMOTIONS-TRAINING: EINE TRAININGSMETHODE VON BINA LUNZER
„Endlich ist der Spaziergang vorbei!“ „Das war vielleicht wieder peinlich!“ „Jeder im Ort hat den Radau gehört!“ Der Hund ist schon wieder mit Karacho in die Leine gesprungen und hat einen Artgenossen lautstark angepöbelt. Ellenbogen und Handgelenk schmerzen noch ein wenig.
Sie kennen das? Ihr Hund führt sich jedes Mal wie ein kreischender Gummi-Flummi auf, sobald er einen Artgenossen sieht? Distanz-Emotions-Training (DET) könnte der passende Schlüssel sein.
Erst einmal gehen wir davon aus, dass es keine gesundheitlichen Gründe für sein Verhalten gibt. Ihr Hund ist fit und wird entsprechend ausgelastet. Er mag andere Hunde einfach nicht.
Bereiten Sie sich vor
Lernen Sie Ihren Hund lesen. Seine Körpersprache zeigt, wann ihm eine Situation zu viel wird. Wir Menschen übersehen die Zeichen leider häufig, z.B. Lippen lecken, Blick abwenden, schnüffeln… also geht Ihr Hund in der Kommunikationsleiter weiter – hilft sich quasi selbst – bis man es endlich wahrnimmt. Er rennt, stemmt sich in die Leine und bellt lautstark! Es ist also am Hundehalter, Anspannung und Stress am Hund zu erkennen, bevor er aus der Haut fährt.
Die Abbildung „DET – Grenzen und Wirkung“ zeigt, dass Ihr Hund im grünen Bereich den Auslöser zwar wahrnimmt, die Distanz aber so groß ist, dass er entspannt und ansprechbar ist. Sie kommen mit dem Gefühl „Toller Spaziergang!“ zuhause an.

DET – Grenzen und Wirkung (Bina Lunzer)
Überschreiten Sie aber die Grenze zum gelben Bereich, erklärt Ihr Hund, dass er leicht gestresst ist und sich gerne abwenden möchte. Vorsicht! Gehen Sie jetzt weiter auf den Auslöser zu, dann landen Sie mit Volldampf im roten Bereich und Ihr Hund reagiert emotional.
Beachten Sie die Stresszeichen Ihres Hundes. Dann wissen Sie, wann es Zeit ist, sich abzuwenden und Ihren Hund aus der Situation zu bringen. Er sollte zu keiner Zeit des Trainings überfordert werden. Wird der Stress zu groß, kann Ihr Hund nicht nur nicht lernen. Er „übt“ dann sogar noch das unerwünschte Verhalten.
Sollte Ihr Hund keinen Clicker kennen, konditionieren Sie ihn vor dem DET – richtiges Timing ist unbezahlbar.
Sinnvolle Vorbereitung ist auch, eine Reizhierarchie zu erstellen. Eine Liste mit Auslösern, auf die Ihr Hund reagiert von „ganz schwach“ bis „ganz extrem“. Das könnte so aussehen:
- Er reagiert gar nicht auf große weiße Rüden, die ca. 100 Meter entfernt sind.
- Er reagiert ab 50 Meter selten auf große weiße Rüden, die näher kommen, ihn aber nicht beachten.
- Er reagiert ab 30 Meter immer und sehr emotional auf große weiße Rüden, die ihn anstarren.
Die Liste lässt sich beliebig detaillieren, z.B.
- Er reagiert nur auf langhaarige, nur auf unkastrierte, nur bei Dunkelheit…
Sollte Ihr Hund kein lockerer Leinengänger sein, sollten Sie das Thema Leinenführigkeit vorher trainieren. Eine straffe Leine ist leider ein guter Nährboden für emotionales Verhalten bei Hundebegegnungen. In manchen Fällen ist sie sogar die Ursache.
DET und Trainingsmethoden
DET richtig angewandt, verändert sowohl die Emotion, die hinter unerwünschtem Verhalten steckt, als auch das unerwünschte Verhalten selbst…
- durch positive Verstärkung:
der Hund lernt, dass es sich lohnt, Ruhe zu bewahren, während er den Auslöser anschaut und
2. durch Gegenkonditionierung:
der Hund lernt emotional um – von Aufbrausen zu Gelassenheit.
Kurz gesagt, im grünen Bereich verknüpft Ihr Hund seine gute Laune und Futter mit dem Auslöser. Das wiederum macht den Auslöser weniger „bedrohlich“.
Startphase
Ihr Hund sieht noch gar nicht was passiert. Er wartet ruhig im Auto oder mit Ihnen hinter einem Sichtschutz. Der Auslöser wird so positioniert, dass Ihr Hund ihn gerade so wahrnehmen wird. Schätzen Sie Ihren Hund so ein, dass er ab einer Distanz von 50 Metern gestresst reagiert, dann liegt der Auslöser gemütliche 100 Meter entfernt (immer die doppelte Distanz einplanen). Das Schöne am DET ist, dass man damit jeden beliebigen “Bisher-Ausflipp-Reiz” zum Alltagsreiz machen kann: andere Hunde, Männer mit Hüten, Mülltonnen etc.

Fotos von Sandra Zirnstein
- Beide Hunde – Ihrer und der Auslöser (ein anderer Hund) – sind zu jeder Zeit angeleint! Sie positionieren sich mit Ihrem Hund nun so, dass er den Auslöser sieht, aber nicht reagiert – also im grünen Bereich. Atmen Sie nochmal tief durch…
Jetzt geht es los
Sie und Ihr Hund stehen ruhig an der Startposition, die Leine hängt locker durch und Ihr Hund schaut den Auslöser ohne weitere Reaktion an. Für diesen entspannten Blick bekommt er sofort einen „Click + Futter“. Dann schaut er zu Ihnen, um seine Belohnung abzuholen. Danach wird er den Auslöser erneut anschauen: Click + Futter. Das wiederholen Sie mehrere Male an genau derselben Stelle.

Hund blickt zum Auslöser und bleibt ruhig. Click!

Hund schaut nach dem Click zu Ihnen. Futter!
- Beim DET geht es nicht darum, möglichst schnell bis zum Auslöser zu gehen, sondern um die Anzahl der Clicks, die der Hund in der Ruhe mit Blick auf den Auslöser erhält. Nur so lernt er emotional um (Gegenkonditionierung). Ihr Hund bestimmt das Tempo. Während er sein Leckerchen frisst, atmen Sie tief durch, konzentrieren sich und warten auf den nächsten Blick zum Auslöser. Click + Futter!
Verweigert Ihr Hund das Futter, müssen die Ursachen dafür gefunden werden. Der Abstand zum Auslöser könnte zu klein sein, der Hund fühlt sich durch andere Umwelteinflüsse abgelenkt (nasser Boden, Gerüche usw.). Oder man benötigt hochwertigeres Futter (z. B. Käse, Wurst). Ihre Hundeschule kann Sie hierbei unterstützen.
Wann laufen Sie weiter auf den Auslöser zu?
Ihr Hund hat an einer Stelle den Auslöser mehrmals entspannt angeschaut und Click + Futter angenommen. Irgendwann geht sein Blick vielleicht direkt nach dem Fressen zu Ihnen als wolle er sagen: „Warum stehen wir eigentlich hier? Wir können gerne weiter!“ …oder er blickt ganz schnell zum Auslöser und dann sofort zu Ihnen: „Ich hab hingesehen, du kannst mich füttern!“. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt weiter zu gehen – mit lockerer Leine, ruhig und entspannt. Wie weit? Genau 2 Schritte – rechter Fuß, linker Fuß.
Mit dem nächsten Blick zum Auslöser erhält Ihr Hund wieder einen Click + Futter!
Achtung! Der Click ist gleichzeitig Ihr „Stoppzeichen“ und beendet das Weiterlaufen. Jetzt warten Sie wieder, bis der Hund an dieser Stelle den Auslöser mehrmals entspannt angeschaut hat.
Diesen Ablauf gehen Sie so lange durch, bis Sie ca. 4 Meter vom Auslöser entfernt sind. Fertig, der erste Durchgang ist geschafft. Jetzt könnten Sie ein Spielzeug hervorzaubern und mit Ihrem Hund fröhlichen vom Auslöser weg gehen.

Fast angekommen und alle sind entspannt
Wie geht es weiter?
Bei dieser Trainingseinheit hat der Auslöser gelegen. Bei der nächsten Trainingseinheit beginnen Sie z.B. mit einem stehenden oder sich langsam bewegenden Statisten. Den Schwierigkeitsgrad können Sie jedes Mal variieren. Der Startpunkt bzw. der Abstand zum Auslöser sind unverändert. Nach und nach arbeiten Sie die Liste der Reizhierarchien ab.
Trainingsfehler – vergrößern Sie die Distanz!
Nehmen Sie Stresszeichen in Ihrem Hund wahr, belohnen Sie ihn dafür und drehen Sie in aller Ruhe um. Oft reichen 5-10 Schritte und Ihr Hund ist wieder im grünen Bereich.
Er könnte Folgendes zeigen:
- Gähnen, Schütteln, Lippenlecken usw.
- er holt sein Futter, wird aber deutlich grober und frisst mit mehr Anspannung
- er schaut nach dem Click kurz zu Ihnen, holt sein Futter aber nicht ab, sondern „glotzt“ direkt zum Auslöser
- er schaut nach dem Click gar nicht mehr zu Ihnen
Es hilft auch dann, ein paar Schritte zurück zu gehen, wenn Sie Stress haben (die Leine kürzer nehmen, die Position zum Hund verändern und ihn bedrängen, flacher atmen oder Ihre Körperhaltung sich anspannt).
Ziel ist es, dass der Hund während des Trainings nicht emotional reagiert. Wenn doch, dann waren Sie zu schnell. Sie und Ihr Hund waren für diese Distanz noch nicht bereit.
Wenn Sie die Zeichen im gelben Bereich nicht beachten und einfach weitergehen, muss Ihr Hund irgendwann emotional auf den Auslöser reagieren (roter Bereich). Trainingsabbruch – das war’s!
Jetzt gehen Sie am besten hinter einen Sichtschutz, setzen sich, atmen tief durch und kommen beide zur Ruhe (evtl. konditionierte Entspannung durchführen). Eine solche Situation darf bei dieser Trainingseinheit nicht noch einmal vorkommen – am besten nie wieder.
Wie kann ich DET sinnvoll ergänzen?
Achten Sie im Alltag darauf, dass Ihr Hund so selten wie möglich – am besten gar nicht emotional reagieren muss – bleiben Sie im grünen Bereich. Das gilt nicht nur für Spaziergänge – überlegen Sie z.B., ob manche Auslöser an Ihrem Hoftor oder am Auto vorbeilaufen und Ihr Hund reagiert.
Ergänzend zum DET können Sie sich an Ihre Hundeschule wenden und Managementmaßnahmen erarbeiten, konditionierte Entspannung sowie alternatives Verhalten trainieren.
Der Aufbau von ruhigem Alternativverhalten sowie die Gegenkonditionierung sind gängige Techniken in der Hundeerziehung. Bina Lunzer ist es gelungen, mit DET einen einfachen, strukturierten und klaren Ablaufplan für jeden Hund und jeden Menschen realisierbar zu machen.
Kleines Beispiel aus der Praxis
Adam, ein 7-jähriger Boxerrüde, wurde vor einem halben Jahr aus dem Tierschutz übernommen. Ist unterwegs ein anderer Hund – ca. 150 Meter entfernt – zeigt Adam deutlich Stress (einfrieren, schnauben und Backen aufblasen, Nackenfell aufstellen). Ab ungefähr 100 Metern wird er emotional, stemmt sich in die Leine und bellt. Bisher hat er gelernt: „Wenn ich richtig viel Terror mache, dreht mein Mensch mit mir um, und wir gehen weg.“
Luna, eine 5-jährige Labbi-Mix-Hündin aus der Nachbarschaft, hat keinen Stress mit Artgenossen. Sie ist freundlich und verspielt. Aber Luna läuft jeden Morgen an Adams Haustür vorbei – meist dann, wenn Adam auch zur Gassi-Runde startet.
Wie das Zusammentreffen aussieht, können Sie sich vorstellen. Luna freut sich über Adam und wird unruhig. Adam denkt sich: „Ach du Schreck, die schon wieder!“ …und er wird laut. Manchmal kann Adam gerade so ins Haus zurückgezerrt werden und manchmal begegnen sich beide im Feld…
Ein klarer Fall für DET. Beide Besitzerinnen waren von dieser Methode hellauf begeistert, und Lunas Frauchen hat sofort angeboten, uns zu helfen.
Ein paare Tage später ging es los. Luna wurde ca. 180 Meter entfernt positioniert und hat entspannt bei ihrer Besitzerin gewartet. Adam wurde so ruhig wie möglich zum Start gebracht und wir haben losgelegt. Auslöser anschauen, clicken, füttern… bis wir kurz vor Luna standen (ca. 4 Meter entfernt). Geschafft – es darf wieder geatmet werden!
Danach sind wir in aller Ruhe mit beiden Hunden weitergelaufen, als wäre nichts gewesen, und siehe da, das war der erste gemeinsame Spaziergang. Beide Hunde an der Leine, ohne direkten Kontakt und alles war entspannt.
Adams Besitzerin sagte: „Ich hab damit gerechnet, dass wir auf halber Strecke abbrechen müssen… und jetzt gehen wir sogar zusammen spazieren!“
- Luna war ein toller Einstieg – eine DET-Einheit und alles war gut. Seit diesem Tag ist Adam entspannt, wenn er Luna sieht. Mit einem Border Collie (unkastrierter Rüde) hatte Adam vier DET-Einheiten, und auch mit ihm kann Adam jetzt ohne Stress umgehen.
Zum Glück generalisieren sich diese positiven Einzelerfahrungen: Bei völlig fremden Hunden hat sich Adams Verhalten insgesamt deutlich verbessert – seine Grenze zur Emotionalität hat sich von ca. 100 auf knapp 50 Meter verkürzt.
Sie sehen, richtig eingesetzt, ist DET ein starkes Werkzeug, um einen Auslöser in etwas Positives zu verwandeln. Ihr Hund wird es Ihnen danken… und Ihre Handgelenke auch.
Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, können Sie das im Webinar (“Distanz-Emotions-Training” bei dog-ibox.com) tun oder bei einem Live Seminar (www.happytraining.at).
Viel Spaß!
Quellenangaben:
Lunzer, B. 2015: Handbuch für Hibbelhunde: Wie nervöse und agitierte Hunde Ruhe lernen. Purkersdorf: KDP. http://www.amazon.de/dp/B0147F2CPY
Trainingsprotokoll immer mit dabei: am Smartphone, iPad, Tablet oder kindle.
Lunzer, B. 2012: Mein Hund zerrt! Wie man einen Schlepplift im Wolfspelz in einen leinenführigen Hund verwandelt. Purkersdorf: KDP. http://www.amazon.de/dp/B0094RXMCI