Die Genetik der Fellfarben beim Hund, Buch von Dr. Anna Laukner, Dr. Christoph Beitzinger, Dr. Petra Kühnlein
Treffender hätte der Buchtitel kaum sein können, denn genau darum geht es in diesem absolut spannenden und empfehlenswerten Buch: die vielen verschiedenen Fellfarben und -zeichnungen bei Hunden, wie sie entstanden sind und sich über die Jahrzehnte der Zucht weiterentwickelt haben sowie deren Zusammenhang von Genetik, Verhalten und Gesundheit.
WARUM IST DAS BUCH INTERESSANT?
Immer dann, wenn Fellfarben durch starke Nachfrage hohe Priorität bei der züchterischen Selektion haben und Farben und Rassen z.B. durch Filmhelden innerhalb kurzer Zeit in Mode geraten, besteht die große Gefahr, dass Gesundheit, Körperbau und -funktion sowie ein stabiles Wesen in den Hintergrund geraten. Wichtig zu wissen ist, dass Farbe Funktion hat(te). Auffallende Farben und Muster können nicht nur Auswirkungen auf wichtige Körperfunktionen haben. Sie beeinflussen auch (unbewusst) die direkten Bezugspersonen sowie Menschen, Hunde und andere Tiere, denen wir im Alltag begegnen. Die Reaktionen haben wiederum Effekte auf den Hund und sein Verhalten.
„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“
(Arthur Schopenhauer)
Was nützt es, einen sehr schönen und optisch ganz „besonderen“ Hund zu haben, wenn er krank ist, Schmerzen hat, sich häufig unwohl fühlt, körperlich eingeschränkt ist, weil die Sinne nicht mehr oder nur eingeschränkt funktionieren, und in Folge dessen ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten bis -störungen entwickelt?
Was wiederum natürlich auch nicht heißt, dass man ganz grundsätzlich keinem kranken, körperlich eingeschränkten oder verhaltensauffälligen Hund, der eventuell obendrein noch den Kriterien einer Qualzucht entspricht, ein gutes Zuhause bieten soll.
Ein guter Zeitpunkt, dieses Buch zu lesen und sich mit dem Thema zu befassen, ist, BEVOR die Wahl auf ein neues vierbeiniges Familienmitglied fällt. Somit setzt du dich mit den Vor- und Nachteilen bewusst auseinander und triffst hoffentlich eine informierte – wohl überlegte – Entscheidung.
Während eines solchen Prozesses oder wenn du dieses Buch liest, kommst du wahrscheinlich recht schnell zu folgenden Fragen:
- Was ist Qualzucht?
- Ist der Körperbau und die Fellbeschaffenheit des präferierten Hundes noch artgerecht und funktional?
- Was möchte ich guten Gewissens unterstützen, was ist grenzwertig, weil andere Aspekte bei einer Entscheidung für den Hund überwiegen und was ist tierschutzrelevant?
Für manches gibt es Gesetze, oft sind die Grenzen jedoch fließend und wohl nicht immer eindeutig zu beantworten. Ich finde es wichtig, sich folgendes bewusst zu machen: Unsere Entscheidung hat Einfluss – und zwar nicht nur, wenn man sich für einen Hund aus einer professionellen Zucht entscheidet. Auch wenn Hunde aus einer Hobbyzucht, einem Ups-Wurf, der privaten Vermittlung oder aus dem Tierschutz kommen, die Wahl für diesen einen bestimmten Hund hat direkte Auswirkungen auf uns, alle Mitglieder unserer Lebensgemeinschaft und prägt im Endeffekt auch das öffentliche Bild des Hundes in unserer Gesellschaft: nämlich das als normal wahrgenommene Bild vom Haustier Hund. Das gilt nicht nur für Rassehunde, sondern natürlich auch für Mischlinge.
Haben wir uns daran gewöhnt, dass brachyzephale Hunde röcheln und schnaufen, andere Hunde hingegen immer größer, kleiner oder extremer im Körperbau gezüchtet werden (was jeweils nichts mit Fellfarbe zu tun hat) und immer bunter, ausgefallener, heller, weißer, farblich ausgefallener durch die Gegend spazieren? Macht sich der Großteil der Hundehalter:innen wirklich Gedanken darüber…?
Diese Einleitung sind meine persönlichen Gedanken. Vielleicht beschäftigen dich diese Themen auch oder du möchtest, anlässlich dieser Buchbeschreibung, noch mehr darüber lernen? Falls dich meine Einleitung triggert, sei unbesorgt, dieses Buch ist sachlich geschrieben, du findest ausschließlich Erklärungen der Zusammenhänge und Beispiele mit vielen Bildern, z.B. zu folgenden Themen:
HAST DU GEWUSST, DASS
…das Merle-Gen meistens zu auffallenden und einzigartigen Fellzeichnungen beim Hund führt, aber auch „inkognito“ als optischer „Black and Tan“ (Grundfarbe schwarz ohne Merle-Muster) vorkommt, genetisch aber Atypisches, Minimal oder Cryptic Merle ist?
Deshalb ist es sinnvoll bei Rassen, in denen Merle vorkommt (z.B. Australian Shepherd, Border Collie, Collie, Sheltie, Cardigan Corgi, Beauceron, Pyrenäenschäferhund, Mudi, Dackel, Chihuahua, Deutsche Doggen, Pomeranian, Zwergschnauzer, Französische Bulldoggen u.a.), beide Elternteile genetisch zu testen, um auszuschließen, dass die Verpaarung nicht doch eine unbeabsichtigte Doppel-Merle-Verpaarung ist, die bei entsprechend hoher Basenpaarlänge Beeinträchtigungen bis hin zu Behinderungen oder gar Störungen des Hör- und Sehsinns nach sich ziehen können.
H-Lokus: Halekin-Gen und ein Beispiel wie unterschiedlich Mh/m aussehen kann…
…Rassen, in denen Sable (=Zobel) vorkommt (z.B. Welsh Corgi Cardigan, Sheltie, Border Collie, Collie), im VDH jedoch nicht mit einer/m Merle-Partner:in verpaart werden dürfen? Sable-Merle–Nachkommen sind nur als Welpen sicher als Merle erkennbar. Bei erwachsenen Hunden sind sie optisch nur schwer von Sable zu unterscheiden. Würde ein solcher verdeckter Sable-Merle–Hund später mit einem Merle verpaart, führt das deshalb zu einer ungeahnten Doppel-Merle-Verpaarung mit den entsprechenden Gesundheitsrisiken. Ganz so leicht ist es aber nicht, denn in den USA und außerhalb des VDH ist die Zucht von Sable x Merle erlaubt und so gibt es sicher auch “unsichtbare” Sable-Merles in der Population.
Blue Merle, Sable-Merle und Sable (ohne Merle)
…der Verdünnungsfaktor (Dilute) nicht nur zu einer besonderen Fellfarbe führen kann, sondern unter Umständen auch mit einer Farbmutantenalopezie zusammen auftreten kann? Die Erkrankung hat verschiedene Bezeichnungen: Colour Mutant Alopecia (CMA), Blue Dog Disease oder Blue Doberman Syndrome. Es kommt zu zunehmendem Haarausfall (farbige Bereiche, Rumpf), die Haut kann zu Irritation neigen oder sich stark entzünden. Leider gibt es keine Heilung, nur Linderung der Entzündungen und Hautinfektionen. Dilute (Farbbezeichnung lilac, silver, blau) ist ein Hingucker und deshalb bei Welpenkäufern begehrt, auch weil solche Hunde häufig hellere Augen haben. Rassen, bei denen Dilute zum Beispiel vorkommt, sind: Weimaraner, Italienisches Windspiel, Whippet, Greyhound, Deutsche Dogge, Chow Chow, Shar Pei, Border Collie, Französische Bulldoggen und Labrador.
…Extremschecken (= größtenteils weiße Hunde) bzw. Hunde mit unpigmentierten (weißen) Köpfen ein höheres Risiko für Taubheit ab Geburt aufweisen – vor allem dann, wenn die unpigmentierten Bereiche sich über den Kopf (Bereich der Ohren) ausdehnen? Beispiele für Extremschecken sind: Dogo Argentino, weißer (Mini) Bull Terrier, Sealyham Terrier und Pyrenäenberghund. Sie sind weiß, entweder am ganzen Körper oder mit Ausnahme von ein oder zwei kleinen Platten am Kopf und/oder dem Rutenansatz.
“Blaue Augen bei extrem gescheckten Hunden hingegen stehen für erhöhtes Taubheitsrisiko verglichen mit extrem gescheckten Hunden mit braunen Augen.” (S. 234)
“Auch bei einem ansonsten nahezu vollständig pigmentierten Körper kann ein Hund einen ganz oder halbseitig pigmentlosen (weißen) Kopf haben. Hunde mit “Split face” sind bei Hütehunden häufiger zu sehen. Solche Hunde haben – wie Extremschecken – ein erhöhtes Taubheitsrisiko. Gemäß Züchterbeobachtungen kann eine breite Blesse ein Hinweis darauf sein, dass ein Hund die Veranlagung für “White head” trägt und an seine Nachkommen weitergeben kann.” (S. 148/14)
Weißscheckung
Ich hoffe, diese Beispiele haben dich neugierig gemacht und du siehst, dass in vielen Rassen Farben bzw. Zeichnungen vorkommen, die gesundheitliche Risiken nach sich ziehen können. Im Buch findest du zahlreiche und gut bebilderte Beispiele und lernst die verursachenden Gene kennen.
Wichtig zu wissen:
Es gibt für viele Farbvarianten Gentests, die die Genorte für das optische Erscheinungsbild des Hundes offen legen und bei vorliegenden Risiken einer Rasse oder Verpaarung konsequent bei beiden Elterntieren VOR dem Deckakt gemacht werden sollten.
Gezielte Nachfrage und entsprechendes Kaufverhalten trägt dazu bei, Leid zu vermeiden. Unterstützt fachlich kompetente, erfahrene Züchter:innen, die einem Zuchtverband angeschlossen sind, wenn es ein Rassehund sein soll.
DIESE THEMEN FINDEST DU IM BUCH:
- Entstehung und Bedeutung der Fellfarben
- Grundlagen der Vererbung
- Genorte:
E-Lokus, Rezessiv/dominant Gelb, Schwarzmaskenfaktor, Domino Varianten (Grizzle, Zobel, Domino), K Lokus (Dominant/rezessiv Schwarz, Strömung, Gelb x Gelb gestromt), A-Lokus (Agouti, Wildfarbung, Black and Tan), B Lokus (Braun), Coca Lokus, D-Lokus (Diliute), M-Lokus (Merle: kryptisch, atypisch, phantom, harlekin), Weißscheckung (S-Lokus/Piebald, Extremscheckung, weiße Abzeichen, Split face, Irische Scheckung, KIT-Gen, Ticking), progressive Ergrauung - Farben der Sinushaare, Nase und Augen
- Fellfarbe und Gesundheit:
Hautschäden durch UV-Strahlung, Melanome, Melanozytome, Zehenkrebs, Melanodermie, Alopezie, Weißscheckung und allgemeine Fitness, Weißscheckung und Taubheit, CDA, Double Merles, Albinismus, Vitilgo, Gray Collie Syndrome, CLP - Fellfarbe und Verhalten
- Testablauf und Laboruntersuchungen (Gentests) in der Praxis
ÜBER DIE AUTOR:INNEN
Dr. med. vet. Anna Laukner ist Tierärztin mit Spezialgebiet Fellfarbe beim Hund, Vererbung und gesundheitliche Bedeutung. Dr. rer. Nat. Christoph Beitzinger ist promovierter Molekularbiologe und seit 2012 bei LABOKLIN in der Fachabteilung für Genetik tätig. Dr. rer. Nat. Petra Kühnlein ist Diplombiologin mit Schwerpunkt Molekularbiologie.
FAZIT:
Ein „guter“, also individuell passender, gesunder Hund mit stabiler, souveräner Persönlichkeit hat keine bestimmte Farbe. Wenn es dir wichtig ist, für dich/euch einen solchen Hund zu finden, lohnt es sich, sich mit Farbe und Genetik auseinanderzusetzen. In diesem Buch findest du alles Wissenswerte und wichtige Zusammenhänge gut und leicht verständlich erklärt. Das Buch ist für Züchter:innen, interessierte Hundehalter:innen und Menschen, die beruflich mit Hunden und Menschen arbeiten, wie z.B. Hundetrainer:innen, Verhaltensberater:innen und Groomern, geschrieben.
Es schult den Blick und wir können dazu beitragen, dass Krankheiten, Schmerzen oder Unwohlsein frühzeitig erkannt, geheilt oder gelindert werden können, bzw. Halter:innen sensibilisieren, auf Symptome zu achten – kein ausschließliches Problem von Rassehunden!
Nachdem ich das Buch gelesen habe, sehe ich Hunde, denen ich begegne, noch einmal mit ganz anderen Augen. Mein Blick für Details ist schärfer geworden, ich nehme jetzt viel mehr wahr und erkenne Unterschiede. Grau ist nicht mehr einfach nur grau und ein optisch brauner Hund nicht automatisch genetisch braun.
Das Buch ist gespickt mit vielen Bildern und ich las es mit großer Begeisterung. Der Preis ist für den Inhalt und Umfang und in Anbetracht, dass es sich wahrscheinlich um ein Special Interest Thema handelt, gerechtfertigt und ich hoffe, dass es möglichst viele Hundefreunde lesen, damit sich das Wissen verbreitet und die Anzahl kranker, verhaltensauffälliger und nicht mehr funktionaler Hunde im öffentlichen Bild und der Verhaltensberatung/Verhaltenstherapie wieder abnimmt.
WEITERFÜHRENDE LINKS UND ERKLÄRUNGEN:
Was ist Qualzucht?
- https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_betroffenen_Merkmale_des_Gutachtens_zur_Auslegung_des_Verbotes_von_Qualz%C3%BCchtungen
- https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/heimtiere/qualzucht/
- https://qualzucht-datenbank.eu
Empfehlenswerter Podcast:
Merle:
Was ist Irische Scheckung?
Irische Scheckung (si) wird von anderen Mustern abgegrenzt, da dieser symmetrische Phänotyp sich im Gegensatz zum zufällig gemusterten Piebald immer im gleichen Maß ausgeprägt: Brustfleck, evtl. ein Kragen oder eine schmale Blesse, weiße Schwanzspitze, weiße Pfoten. Zu Hunden mit echter irischer Scheckung gehören u.a. diverse Jagdhunderassen wie die Deutsche Bracke sowie Border Collies, Collies, Shelties, Boston Terrier, Australian Shepherd, Sennenhunde oder Basenji. Es ist bislang ungeklärt, ob es nur ein si-Allel gibt und ob dieses überhaupt am S-Lokus zu finden ist. Man weiß aber, dass echte irische Scheckung nicht durch Piebald (sp) verursacht wird, so dass diese Hunde als „S/S“ getestet werden.
Quelle: https://hundefunde.de/s-lokus-piebald-irische-scheckung/
Wie unterschiedlich Black and Tan aussehen kann!
So unterschiedlich sieht Stromung aus!
VERLAGSINFO:
- Hier kaufen
- Autoren:
- Verlag: Kynos Verlag
- Umfang: 292 Seiten
- Abmessungen: 20.1 x 2.4 x 27.4 cm
- Sprache: deutsch
- ISBN: 978-3954642618
- Preis: 70,00 €
ÜBER DEN AUTOR UND WEITERE MITWIRKENDE
Dr. Christoph Beitzinger ist als Molekularbiologe bei LABOKLIN in der Fachabteilung für Genetik tätig.
Dr. Petra Kühnlein ist als Molekularbiologin bei LABOKLIN in der Fachabteilung für Genetik tätig.