Herausforderung Jugendentwicklung und Pubertät beim Hund – Alltag, Training und Umgang
Die Junghundphase kann eine aufregende, aber auch eine sehr herausfordernde Zeit sein. Oft nur reduziert darauf, dass Junghunde mehr und mehr ihren eigenen Kopf entwickeln, ist diese Phase von großer Bedeutung für das Verhalten und die Persönlichkeit des Hundes im späteren Leben. In diesem Artikel werden wir uns genauer mit der Entwicklung von Junghunden befassen. Wie sie sich auf das Verhalten auswirkt, was Bezugspersonen tun können, um ihren Hund bestmöglich zu unterstützen und welche, teils immer noch gängigen Methoden, sich eher kontraproduktiv auswirken.
DIE JUGENDENTWICKLUNG BEI HUNDEN
Ist der Zahnwechsel vollständig abgeschlossen, spricht man nicht mehr von einem Welpen, sondern von einem Junghund. Nach dem Zahnwechsel folgt die Pubertät und damit das Erreichen der Geschlechtsreife (6.–12. Monat). Die emotionale und geistige Reife entwickelt sich aber erst nach und nach in der Jugendentwicklung (=Adoleszenz, je nach Typ bis 24.-30. Monat).

Grafik: Sophia Betz
GEHIRN IM UMBAU
Während der Jugendentwicklung durchläuft das Gehirn des Hundes massive Veränderungen: Der Mandelkern, welches das emotionale Bewertungszentrum des Hundes darstellt, vergrößert sich und wird empfindlicher gegenüber Umweltreizen, während der denkende Teil des Gehirns in den Hintergrund rückt. Reaktionen sind sehr stark emotional geprägt, wodurch Angst- und Aggressionsverhalten wahrscheinlicher werden. Gleichzeitig baut die Großhirnrinde Synapsen ab, was dazu führt, dass der präfrontale Kortex, der für bewusste Entscheidungen zuständig ist, während der Jugendentwicklung kleiner wird. Entscheidungen aus dem denkenden Teil des Gehirns werden dadurch erschwert, bisher Erlerntes ist oft nur schwer und manchmal gar nicht abrufbar.
Der Hormonhaushalt ist wegen der Sexualhormone, aber auch wegen eines phasenbedingt besonders hohen Stresshormonspiegels durcheinander und der Hund reagiert empfindlicher und impulsiver.
Und als wäre das alles nicht genug, entwickeln Junghunde auch ein größer werdendes Bedürfnis, Neues zu erkunden, sich von den Bezugspersonen mehr und mehr zu lösen und risikobereiter zu agieren. Sie entdecken die Welt neu und damit auch Verhaltensweisen, die äußerst selbstbelohnend sind, wie z.B. das Jagen. Das kann ebenfalls dazu führen, dass sie sich schwerer von Dingen abrufen oder ablenken lassen.
Insgesamt ist es als Bezugsperson wichtig zu verstehen, dass die Jugendentwicklung eine äußerst sensible Phase ist, die das Verhalten des Hundes langfristig prägt. Aus diesem Grund sind viel Geduld, gutes Management, Rücksichtnahme und ein verständnisvoller Umgang besonders wichtig.

Nala (Bild: Carolin Hess)
BEDEUTUNG FÜR DEN ALLTAG
Durch all diese Veränderungen verschieben sich die Bedürfnisse unserer Hunde. Sich dessen bewusst zu sein und die Bedürfnisse im Auge zu haben, lässt uns so manch impulsive Verhaltensweise besser verstehen.
Wichtige Grundbedürfnisse von jungen Hunden sind unter anderem:
- Altersgerechte und angepasste Bewegung und Erlebnisse unter Einbezug der bisherigen Fähigkeiten und Erfahrungen der gesamten vorangegangenen Woche, um Unter- und Überforderung zu vermeiden.
- Freie Bewegung ist für die körperliche Entwicklung und die Förderung des Bewegungsapparates und des Stoffwechsels von entscheidender Bedeutung.
- “Hund sein” dürfen – das heißt bspw. schnuppern und erkunden dürfen und nur so viel wie wirklich nötig an kurzer Leine geführt werden.
- Ausreichend Ruhephasen, um die körperliche und geistige Entwicklung zu unterstützen und Erlebtes und Gelerntes zu verarbeiten.
- Soziale Interaktion
- mit den Bezugspersonen (Spiel, Körperkontakt, Training…)
- mit Hunden. Hunde sind von Natur aus hochsoziale Tiere und benötigen in dieser Zeit Kontakt zu souveränen und gut sozialisierten Hunden, im individuell richtigen Maß, um wichtige soziale Fähigkeiten wie das Lesen und das richtige Interpretieren der Körpersprache, das angemessene Reagieren darauf und Sozialverhalten im Allgemeinen zu erlernen.
- Eine sichere Bindung: Liebe, Geborgenheit, ein wohlwollender, fairer und respektvoller Umgang sowie Rücksichtnahme.
- Individuell passendes, hochwertiges Futter – auch die Ernährung hat Einfluss auf das Verhalten.
Neben diesen Grundbedürfnissen haben Hunde auch individuelle Bedürfnisse, die je nach Rasse, Temperament und Persönlichkeit variieren können. Einige Hunde benötigen beispielsweise mehr mentale Stimulation als andere, um geistig ausgelastet und zufrieden zu sein. Hier kann beispielsweise Nasenarbeit eine gute Möglichkeit sein, um den Hund geistig zu fordern.
GRENZEN AUSTESTEN – SINNVOLLE ANSÄTZE IM UMGANG MIT PUBERTÄREN NERVENBÜNDELN
Immer und überall wird man davor gewarnt, dass pubertäre Hunde ihre Grenzen austesten und absichtlich Verhaltensweisen an den Tag legen, um ihre Menschen zu provozieren. Das beste Beispiel: Sie bellen uns an, wenn ihnen etwas nicht passt. “Das darfst du ihm nicht durchgehen lassen! Du musst jetzt hart und konsequent durchgreifen, sonst….!” Mit bizarren Begründungen wird bei Hundehalter:innen immens Druck und Angst aufgebaut, was in vielen Fällen zu einem regelrechten Kampf gegen den eigenen Hund führt.
Dass Hunde sich ausprobieren und ihr eigenes Verhalten – welches sie bis zu diesem Zeitpunkt gelernt haben – auf die Probe stellen, hat einen simplen Grund und ist ein natürlicher Teil ihres Entwicklungsprozesses: Es ist schlichtweg notwendig, an seine persönlichen Grenzen zu gehen, um darüber hinauswachsen zu können. Um Neues zu lernen, um Gelerntes zu überdenken und weiterzuentwickeln. Betrachtet man es aus dieser Perspektive, schafft das eine neue Sichtweise und mehr Verständnis.
Es gibt so viele verschiedene Ursachen als Erklärung für “ungehorsames” Verhalten. Ein konkretes Beispiel: Der Hund soll auf seinem Platz liegen bleiben und zur Ruhe kommen, steht aber jedes Mal auf. Mögliche Ursachen für dieses “ungehorsame” Verhalten könnten sein:
- Es steckt ein Bedürfnis nach Körperkontakt dahinter. Vielleicht braucht der Hund gerade einfach Nähe zu seinen Bezugspersonen, um sich zu entspannen.
- Vielleicht muss er sich lösen?
- Er hat nicht verstanden, um was es geht. Das Signal ist noch nicht gut genug aufgebaut, die Generalisierung fehlt oder die Ablenkung ist zu groß.
- Oder er findet es unbequem, kalt, ….
Es gibt unzählige Ursachen, wieso ein Hund sich verhält, wie er sich verhält.
Straft man den Hund hier für das Aufstehen und Nichtbefolgen des Signals, deckelt man lediglich das Symptom, arbeitet aber nicht an der Ursache, wodurch sich das Problem in den allermeisten Fällen einfach verlagert. So entstehen verschiedenste Brandherde im Alltag, wodurch die Beziehung zwischen Hund und Bezugsperson belastet wird. Frust macht sich auf allen Seiten breit, der Mensch kommt an seine Belastungsgrenze und sehr häufig wird an diesem Punkt versucht, durch noch mehr Druck und Zwang die Situation zu kontrollieren. Ein Teufelskreis beginnt – der Entstehung ernsthafter Verhaltensprobleme wird so der Boden bereitet.

Bambi und Nala (Bild: Carolin Hess)
WORAUF ES WIRKLICH ANKOMMT
Damit ein junger Hund zu einem wesensfesten und souveränen erwachsenen Hund heranwachsen und eine sichere Bindung zu seinem Menschen aufbauen kann, ist es wichtig, nicht nur das Verhalten des Hundes oberflächlich zu kontrollieren, sondern die tieferen Ursachen für unerwünschtes Verhalten herauszufinden. In dieser sensiblen Phase ist es von großer Bedeutung, Geduld und Verständnis aufzubringen und sich ein fundiertes Wissen über belohnungsbasiertes Training sowie die Körpersprache von Hunden und deren individuelle Bedürfnisse anzueignen.
Durch einen bedürfnisorientierten und liebevollen Umgang kann eine tiefe Bindung aufgebaut werden, die zu einem harmonischen Zusammenleben zwischen Mensch und Hund führt. Genau so kann aus einem Junghund ein souveräner und selbstsicherer erwachsener Hund werden, der auch mit schwierigen Situationen gelassen umgehen kann.
ÜBER DIE AUTORINNEN:
Carolin Hess und Sophia Betz arbeiten beide hauptberuflich als Hundetrainerinnen bei Easy Dogs. Sie haben sich auf Hunde, die problematisches Verhalten zeigen, spezialisiert. Carolin begleitet Nala, eine 9-monatige altdeutsche Hütehündin, die mitten in der Jugendentwicklung steckt und jeden Tag auf sehr lustige Ideen kommt. Sophia teilt ihr Leben mit Maya, ihrer 6-jährige Zwergdackelhündin und Bambi, ihrem 4-jähriger Dobermannrüde.