Warum ist es wichtig, Stress bei Hunden frühzeitig zu erkennen?
EIN FALLBEISPIEL AUS MEINEM COACHING:
Ein junges Pärchen rief an, sie brauchten Hilfe mit ihrem Dackel. Er konnte nicht alleine bleiben. Bei genauerer Betrachtung waren die beiden seit zwei Jahren nicht zusammen draußen, weil immer jemand für den Hund da bleiben musste oder der Hund mitgenommen werden musste. Überall mit hin nehmen können sie ihn aber auch nicht, weil fremde Menschen ein Problem darstellen.
Der kleine Mann hatte aufgrund der Lebensumstände einfach nie gelernt, entspannt allein zu bleiben. Außerdem waren beide Haltenden eher introvertiert und “häuslich”. Trainiert wurde bisher leider klassisch aversiv mit Verweisen auf die Decke, Raumverwaltung und Aushalten müssen.
Fehlende Bewältigungsstrategien, aversive Trainings und der damit verbundene Wechsel im Umgang mit dem Dackel führte zu erhöhter Stressbelastung bei Haltenden UND Hund. Das Verhalten wurde logischerweise nicht besser, sondern eher schlimmer, denn nun jammerte der Dackel, auch wenn die Haltende noch da war. Sie leistete entgegen ihrem Bauchgefühl das meiste Training und sorgte so, unbewusst, für einen Einschnitt im Vertrauensverhältnis des Dackelrüden ihr gegenüber.
Viel Bindungs- und Beziehungsarbeit musste geleistet werden, um das Vertrauen in seine Bezugsperson wiederherzustellen. Dem Dackel brachten wir hauptsächlich Selbstwirksamkeit und motorische Fähigkeiten, spielerisch bei. Das Alleine-bleiben-Training musste strukturiert und gut überwacht stattfinden.

Der Dackelrüde meines Kundenpaares hatte massiven Trennungsstress, kam insgesamt kaum zur Ruhe und bellte übermäßig viel, auch wenn die Bezugspersonen zu Hause waren. Mitnehmen war meistens auch keine geeignete Option, denn der Hund hatte ein großes Problem mit fremden Menschen. Um die Privatsphäre zu schützen wurde ein Symbolbild eines Dackels gewählt. (Bild: Pixabay)
Kurz vor Weihnachten letzten Jahres konnte das Paar auch mal wieder Paarzeit im Café genießen oder in Ruhe einkaufen, weil der Hund dank Vertrauen, Erwartungssicherheit und bedürfnisorientiertem Hundetraining allein bleiben kann, ohne das ganze Haus zusammen zu brüllen.
Es ist also entscheidend, die Stressanzeichen eines Hundes zu erkennen, um sein Wohlergehen sowie seine Gesundheit und die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten!
WARUM IST DAS SO?
- Vermeidung von Verhaltensproblemen:
Eine dauerhafte Stressbelastung kann Verhaltensprobleme nach sich ziehen, wie z.B. übermäßiges Bellen, Unruhe, Trennungsstress, Angst- und Aggressionsverhalten. - Verbesserung des Wohlbefindens:
Das sichere Erkennen, ob ein Hund unter übermäßigem Stress leidet, ermöglicht es der Bezugsperson (ggf. mit Unterstützung einer kompetenten Hundeverhaltensberater:in bzw. Verhaltensmediziner:in), die Ursache zu finden und zu beheben und somit die Lebensqualität des Hundes deutlich zu verbessern. - Gesundheitsvorsorge:
Chronischer Stress kann das Immunsystem schwächen und zu körperlichen Beschwerden wie Magen-Darm-Problemen, Hauterkrankungen oder Infektanfälligkeit führen. - Sicherheit für Mensch und Tier:
Ein gestresster Hund kann für die Bezugspersonen oder Unbeteiligte unvorhersehbar mit Angst- oder Aggressionsverhalten reagieren. - Stärkung der Bindung:
Wenn du die Bedürfnisse und Gefühle deines Hundes erkennst, darauf eingehst und Bedürfnisse bestmöglich befriedigst, stärkt das die Bindung und das Vertrauen zwischen euch. - Früh helfen:
Das frühzeitige Erkennen von übermäßigem Stress ermöglicht es, rechtzeitig Stress lindernde Maßnahmen zu ergreifen, den Hund gründlich tiermedizinisch untersuchen zu lassen und sich Unterstützung von einer erfahrenen Hundeverhaltensberater:in einzuholen, bevor sich die Situation verschlimmert. - Lernen:
Gestresste Hunde sind nicht in der Lage, gut und nachhaltig zu lernen. Es fällt den Hunden oft schwer, sich zu konzentrieren oder neue Verhaltensweisen zu lernen. Stress kann das Training sehr verlangsamen oder sogar behindern. - Anerkennung der emotionalen Intelligenz:
Stress zu erkennen, zeigt, dass dir dein Hund wichtig ist, du ihn ernst nimmst und auf seine Bedürfnisse eingehst – auch wenn das manchmal herausfordernd, anstrengend oder belastend für dich ist.
UNTERSCHIEDE AKUTER & CHRONISCHER STRESS ERKENNEN
Kennst du das…? Du gehst, nichtsahnend, mit deinem Hund Gassi und fühlst dich beim Nachhause kommen wie nach einem Spießrutenlauf?
Manche Tage sind einfach so. Da nimmt man mit, was man mitnehmen kann. Wildsichtung, Fremdhunde-Crash, Fuchsspur, übergriffige Menschen ohne Ahnung von hündischer Körpersprache oder jegliches Gefühl dafür.
Eddie steckt solche Gassirunden dank guter Bindung und Vertrauen zu mir und auch passender Bewältigungsstrategien und allgemeinem Wohlbefinden gut weg. Bei und nach Wildsichtungen ansprechbar und locker zu bleiben ist für Terrier ansich schon schwer, aber mit entsprechender jagdlicher Affinität ausgestattet, kommt bei Eddie auch noch Frust auf, weil er dem Reh natürlich nicht hinterherjagen kann. Dafür darf er halt so lange gucken, wie er mag. Soziale Interaktion mit Artgenossen findet Eddie eher mäßig, daher ist er auch immer ein bisschen angespannt, wenn plötzlich zwei große schwarze Labradore um die Ecke bollern. Ich begleite Eddie stimmlich, ruhig und biete Schutz. Gleichzeitig rege ich mich nicht über den vermeintlich gedankenlosen Halter auf, sondern kommuniziere unser Anliegen bestimmt in der Sache und freundlich im Ton. Danach bietet sich eine kleine Pause und Kekssuche an, um sich zu fangen. Die Oma, die wegen ihres Alters und dem damaligen Umgang mit Hunden eben massiv übergriffig wird, kann er dann auch noch wegatmen.
Nach solchen ereignisreichen Gassirunden braucht mein kleiner “Rentner- Foxl” erstmal ein Nickerchen und das darf er auch in einer seiner Komfortzonen(Liegeplätze) zuhause halten.

Manchmal kommt etwas unverhofft oder überfordert meinen Hundesenior schlicht. Wichtig ist es, gerade in herausfordernden Situationen zum Hund zu stehen, ihn zu unterstützen, Halt zu geben und ein echter Freund und Partner auf Augenhöhe zu sein. (Bild: Caro Schäfer)
Akuter Stress: Dies ist eine kurzfristige, unmittelbare Reaktion auf einen Stressor. Der Hund zeigt typische Anzeichen von Aufregung oder Angst, wie z.B. Hecheln, Zittern, Ohren anlegen, Unruhe oder Bellen. Diese Reaktion ist eine normale, biologische Verhaltensreaktion, die den Hund darauf vorbereitet, mit den 5Fs zu reagieren. Lässt der Stress nach oder hört auf, beruhigt sich der Hund in der Regel auch schnell wieder. Akuten Stress solltest du wahrnehmen und deinen Hund helfen bzw. sinnvoll begleiten. Es ist nicht sinnvoll jeden minimalen Stress, den ein Hund bewältigen kann, bereits im Vorfeld zu verhindern und den Hund überzubehüten.
Chronischer Stress: Dies ist ein langanhaltender oder dauerhafter Zustand, der durch wiederholte oder eine Immer-Belastungen verursacht wird, ohne dass der Hund eine Möglichkeit hat, die Situation zu bewältigen. Er kann sich weder entziehen noch gut mit dem Stress klarkommen. Chronischer Stress zieht einen hohen Cortisolspiegel nach sich, was langfristig zu Verhaltens- und Gesundheitsprobleme führt, wie z.B. ständige Anspannung, übermäßige Unruhe, Angst, Aggression, Depression und körperliche Beschwerden.
WAS SOLLTEN BEZUGSPERSONEN UNBEDINGT TUN?
Wenn Hunde unter starkem Stress leiden, ist es wichtig, ihnen frühzeitig zu helfen. Konkret solltest du folgende 4 Dinge tun:
- Ursachen identifizieren und beseitigen:
Der erste und wichtigste Schritt ist, herauszufinden, was den Stress verursacht. Es ist unabdingbar den Hund tiermedizinisch zu untersuchen, um Schmerzen oder Krankheit auszuschließen! Sobald die Ursachen erkannt wurden, sollte man sie so gut wie möglich beseitigen und/oder dem Hund helfen, den Stress bewältigen zu lernen. Ein systematisches Vorgehen und ein fachkompetente Beratung ist in der Regel sinnvoll. - Alltag und Lebensbedingungen checken:
Nur wenn ein Hund artgerecht gehalten wird und er seine individuellen Vorlieben und Bedürfnisse befriedigen kann, wird er ausgeglichen sein, kann sich selbst regulieren und kurzfristige Stressauslöser bewältigen. - Wohlfühlzone schaffen:
Der Hund braucht einen sicheren Rückzugsort, an dem er sich wirklich entspannen kann. Dies kann eine geöffnete Hundebox, ein gemütliches Körbchen oder ein abgegrenzter Bereich sein, in dem er nicht gestört wird und angehme ruhen kann. Dieser Ort sollte immer zugänglich sein, die passende Wohlfühltemperatur haben (!) und mit Beschäftigungsmöglichkeiten (z.B. einem Lieblingsspielzeug oder Kauartikeln) ausgestattet sein. Das Schlaf- und Ruhebedürfnis von Hunden wird vor allem in lebhaften Haushalten oft sehr unterschätzt! - Selbstreflexion:
Hunde sind häufig Spiegel ihrer Vertrauenspersonen. Häufig gibt es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln und Persönlichkeit mit dem des Hundes. Es lohnt sich hier genauer hinzuschauen und die Bereitschaft mitzubringen auch an sich selbst zu arbeiten, damit es dem Hund leichter fällt, Stress zu begegnen und nach Möglichkeit selbst oder mit Unterstützung der Bezugsperson bewältigen zu können.
Fazit:
Auch wenn man mal selbst einen stressigen Alltag oder Lebensabschnitt hat: es ist wichtig, aufmerksam und achtsam zu bleiben und den Hund genau zu beobachten!
- Was sagt mein Hund mir mit seiner Körpersprache?
- Haben sich sein Verhalten oder seine Gewohnheiten verändert?
- Geht es ihm gut oder braucht er meine Hilfe?
Wenn du neugierig geworden bist und noch mehr über Stress beim Hund lernen möchtest, habe ich zu diesem Thema ein Digitalskript verfasst.
Es ist leicht verständlich geschrieben, übersichtlich strukturiert und enthält viele praktische Ideen und Maßnahmen, was du konkret tun kannst, wenn dein Hund unter einer hohen Stressbelastung leidet oder es ihm generell schwer fällt, zur Ruhe zu kommen.