Ein Hund aus dem Tierschutz – ein emotionales Thema rational betrachtet
In den letzten Jahren war ich in einem Tierschutzverein aktiv. Ich habe im Team und Vorstand mitgearbeitet und war Pflegestelle. Durch diese intensive Arbeit habe ich Einblicke hinter die Kulissen erhalten, die ich mit Ihnen gerne teilen möchte.
Ja, Tierschutz ist ein sehr emotionales Thema und auch in den sozialen Medien wird gerade das oft ausgenutzt. Es wird Mitleid erzeugt (“Der schaut so traurig.”) oder Angst um den Hund geschürt (“Er sitzt in der Tötung, es bleiben nur noch wenige Tage!”). Diese “Helfergefühle” können uns zu überstürzten Entscheidungen verleiten. Daher finde ich es wichtig zu versuchen, das emotionale Thema Tierschutz sachlich und rational zu betrachten.
INLANDSTIERSCHUTZ
Der Verein, bei dem ich ehrenamtlich tätig war, hat ausschließlich Hunde aus Deutschland unterstützt, da uns die Zulassung zur Vermittlung von Tieren aus dem Ausland nach dem Tierschutzgesetz nicht vorlag. Desweiteren waren wir der Ansicht, dass es in Deutschland genug hilfesuchende Vierbeiner gibt. Öfter lernte ich Menschen kennen, die nicht glauben konnten, dass es in Deutschland ebenfalls so viel Leid gibt. Ich erinnere mich noch gut an die Rettungsaktion der Hunde aus Königsmoos. Im November 2018 wurden damals über 100 Hunde von einem Grundstück beschlagnahmt. Stern TV war zusammen mit Vier Pfoten vorort, die angrenzenden Tierheime haben unterstützt und auch unser Verein übernahm einige Hunde. Solche Bilder, wie sie damals durch die Medien gingen, vermutet man nicht in Deutschland, aber es kommt vor und diesen Tieren musste geholfen werden. Die Hunde hatten kaum Sozialkontakt zu Menschen, lebten in der Gruppe zusammen auf dem Hof, konnten sich unkontrolliert vermehren, waren krank und ausgemergelt. Sie brauchten viele Monate bis sie mit ihrem “normalen” Hundeleben zurecht kamen. Leben in einem Haus, gestreichelt werden, genug zu fressen, spazieren gehen an der Leine, Stubenreinheit – alles Dinge, die sie lernen mussten. Trotz der Liebe und Fürsorge ihrer neuen Menschen sind die Geister der Vergangenheit bis heute nicht besiegt. Immer wieder gibt es Situationen, in denen die Hunde anders als erwartet reagieren und ihre Familien viel Verständnis für sie aufbringen müssen. Es werden einfach immer besondere Familienmitglieder bleiben, die mehr Unterstützung brauchen als andere Hunde.
Aber nicht nur Tiere aus Beschlagnahmungen finden ihren Weg zu Tierschutzorganisationen, auch Züchter geben Hunde ab, die für die Zucht ungeeignet sind bzw. werden. Ich möchte hier keine Wertung über gute und schlechte Züchter vornehmen. Ja, es gibt Züchter, die niemals ihre ausgedienten Hunde abgeben würden, es gibt aber eben auch Züchter, die dies tun. Auch Privatleute geben aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Hunde ab, sei es aus Zeitmangel oder Überforderung, aus finanziellen Gründen – letztlich ist es immer eine individuelle Entscheidung und der Hund hat durch die Abgabe eine Chance auf eine neue Familie, die sich kümmern kann.
AUSLANDSTIERSCHUTZ
Tierschutz im Ausland unterscheidet sich nicht so gravierend vom Tierschutz innerhalb Deutschlands. Ein wichtiger Unterschied sind die kulturellen Merkmale. Hunde, die im Ausland für sich allein verantwortlich in der Gruppe auf der Straße leben, meist auf dem Land, haben verständlicherweise noch größere Anpassungsprobleme, wenn sie z.B. in die Großstadt vermittelt werden. Aber schon durch die Änderung des gewohnten Umfelds und die kulturellen Unterschiede können Probleme auftreten, die je nachdem wohin die Hunde vermittelt werden, verschieden stark ausgeprägt sein können. Sie brauchen daher intensive Unterstützung durch ihre Menschen, vielleicht auch von (Verhaltens-) Tierärzt:innen und Trainer:innen, um schließlich in ihrem neuen Leben zurecht zu kommen. Nicht zu unterschätzen sind Krankheiten, die vermehrt in südlichen Ländern vorkommen, wie z.B. Parasiten (Giardien, Herzwürmer) oder auch Infektionskrankheiten (Staupe, Parvovirose, Leishmaniose). Die Behandlung ist oft langwierig und kostspielig, einige Krankheiten sind ansteckend (sowohl für Mensch als auch Tier) und leider kommt manchmal die Hilfe zu spät.
Wie so oft, gibt es sowohl im In- als auch im Ausland schwarze Schafe. Rettet eine Organisation z.B. einige Tiere in der Hoffnung und Absicht Gutes zu tun, werden neue Hunde “nachgeliefert” um das Geschäft mit dem Tierschutz am Laufen zu halten. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass Hunde nach Deutschland gebracht wurden und hier deutsche Papiere (EU-Heimtierausweis) ausgestellt und deutsche Registrierungschips gesetzt wurden. Ob damit die fehlende Erlaubnis zur Vermittlung von Auslandshunden umgangen werden soll oder ob die Hunde für die Adoptanten interessanter sind, wenn sie deutsche Papiere haben, kann ich nicht sagen. In jedem Fall lohnt sich genaues Hinsehen und Nachfragen.
Für die zukünftige Adoptionsfamilie ist es – unabhängig davon, ob es sich um In- oder Auslandstierschutz handelt – meiner Ansicht nach wichtig, auf einige Eckpunkte bei der Auswahl der Tierschutzorganisation zu achten.
- Liegt die Erlaubnis zur Vermittlung nach dem Tierschutzgesetz überhaupt vor?
- Lebt der Hund schon auf einer Pflegestelle und es gibt die Möglichkeit des Kennenlernens?
- Ist es eine Direktvermittlung oder können die Interessenten den Hund zuerst als Pflegefamilie zum Kennenlernen aufnehmen?
- Wie sieht die Betreuung während der Pflegezeit und nach der Adoption durch den Tierschutzverein aus?
- Wird ein Vertrag geschlossen und eine Tierschutzgebühr verlangt?
- Nimmt die Organisation den Hund im Fall der Fälle wieder zurück?
- Reagiert die Tierschutzorganisation offen auf Fragen und beantwortet diese, soweit möglich, umfangreich?
- Ist bekannt welche Rassen evtl. im Wunschhund stecken oder wird z.B. der Hütehund im Golden-Retriever-Kostüm angeboten?
Die Entscheidung für einen Tierschutzhund – egal welcher Herkunft – sollte wohl überlegt und keinesfalls überstürzt getroffen werden.
Hunde aus dem Tierschutz sind immer Überraschungspakete und das meine ich nicht negativ! Unsere Pflegehunde (sie hatten keine großen Päckchen zu tragen, waren meist Abgabehunde) haben mehrere Phasen des Ankommens durchlebt. Nach ca. drei Wochen hatten sie unseren Tagesablauf verstanden und schon einmal ausprobiert, ob nicht vielleicht doch von den Regeln abgewichen werden kann. Nach weiteren 2-3 Monaten waren sie richtig angekommen und konnten, auch abhängig vom Hormonzyklus (z.B. bei den Mädchen) nochmals ihr Verhalten ändern. Kommen Hunde, wie oben erzählt, aus Beschlagnahmungen, aus dem Ausland oder von der Straße, kann diese Eingewöhnung natürlich länger dauern, vielleicht auch nie ganz abgeschlossen werden.
Jeder Tierschutzhund bringt sein Köfferchen mit, darin sind bestimmte Erfahrungen, Erlebnisse, gute wie schlechte, manchmal ganz viele oder eben extrem wenige Erinnerungen oder auch “Geister der Vergangenheit” enthalten. Das Köfferchen ist immer dabei. In Situationen, in denen wir Menschen nicht damit rechnen, kommen Dinge daraus zum Vorschein und unsere Tierschutzhunde treffen für uns komische, nicht vorhersehbare Entscheidungen. Ein Beispiel aus meiner Zeit im Tierschutzverein: Das Herrchen kam von der Arbeit im Blaumann und Stiefeln nach Hause – der Hund aus dem Tierschutz zeigte deutliche Angstzeichen, zog sich zurück, ließ sogar unter sich. Das Herrchen ging duschen, zog sich Jeans und T-Shirt an und wurde freudig begrüßt. Wir wissen es nicht, aber offensichtlich war da eine richtig schlechte Erinnerung an Männer mit Blaumann und Stiefeln im Köfferchen. Diese Erinnerung verblasste zwar im Laufe der Zeit unterstützt durch gutes positives Training, wurde überdeckt mit guten Erlebnissen mit dieser gruseligen Gestalt, blieb aber trotz allem erhalten und brach hin und wieder hervor. Zum Glück – um weiterhin bildlich zu sprechen – haben die meisten Tierschutzhunde noch ganz viel Platz in ihrem Köfferchen für tolle, schöne, harmonische, liebevolle Erlebnisse.
Einen Aspekt möchte ich noch kurz anreißen: Die Möglichkeit zu helfen, auch ohne Adoption. Die Beweggründe sind zweitrangig, sei es die fehlende Möglichkeit einen Hund bei sich aufzunehmen oder der Wunsch anderweitig zu unterstützen.
Es gibt Tierschutzorganisationen, die Hunde, gerade Straßenhunde, einfangen, medizinisch versorgen, bei dieser Gelegenheit kastrieren und dann wieder in ihr gewohntes Umfeld entlassen. So können sich die Hunde nicht unkontrolliert vermehren und ihr Leben, mit dem sie vielleicht sogar besser zurechtkommen, als mit einem Leben in unserem Kulturkreis, weiterleben.
Tierschutz ist ein sehr emotionales Thema und mir ist es nicht ganz gelungen, nur rational zu schreiben. Ich bin der Meinung: Das geht auch nicht! Man kann nicht nur rational sein, wenn es um Lebewesen geht, die Hilfe brauchen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir es zumindest etwas versuchen, wenn wir die rosarote Brille absetzen, gezielte Fragen stellen, eine Nacht darüber schlafen und mit Herz UND Verstand die Entscheidung “Tierschutzhund – ja oder nein und wenn ja, wie?” treffen.