Der weiß genau, was er falsch gemacht hat…?!
FALLSTRICKE DER OPERANTEN KONDITIONIERUNG IM HUNDETRAINING
Nach einem langen Tag in der Arbeit kommst du zurück nach Hause und findest deinen Hund inmitten deines Biomülls sitzen – die zerfetzte Tüte neben ihm. Wieder einmal ist ihm der Mülleimer zum Opfer gefallen. Vielleicht wäre dein erster Impuls, deinen Hund zu schimpfen oder du hast schon mal gehört, dass man ihm das nicht durchgehen lassen darf. Aber was bewirkst du wirklich damit, wenn du deinem Hund jetzt eine Standpauke hältst?
Um das zu verstehen, machen wir zunächst einen kurzen Ausflug in die Lerntheorie – genauer gesagt in die Regeln der operanten Konditionierung.
EINFÜHRUNG IN DIE OPERANTE KONDITIONIERUNG
Operante Konditionierung ist die Verknüpfung eines Verhaltens mit einer Konsequenz. Anders gesagt: Operante Konditionierung beschreibt das Lernen durch Konsequenzen. D.h. die Konsequenz, die auf ein Verhalten folgt, bestimmt, wie häufig das Verhalten in Zukunft gezeigt wird.
Dabei gibt es vier verschiedene Arten von Konsequenzen: positive bzw. negative Verstärkung (das Verhalten wird häufiger) und positive bzw. negative Strafe (das Verhalten wird seltener).
Positiv und negativ sind dabei nicht wertend, sondern im mathematischen Sinne zu verstehen. „Positiv“ meint das Hinzufügen eines (angenehmen oder unangenehmen) Reizes, „negativ“ das Entfernen. Die folgende Grafik gibt dazu einen kurzen Überblick. Einen tieferen Einstieg in das Thema gewährt der Artikel „Trainingsmethoden – Wer die Wahl hat, hat die Qual“ von Nicole Dumke.
Wichtig hierbei ist, dass allein der Hund bestimmt, ob etwas ein Verstärker bzw. eine Strafe ist. Je nach Hund kann bereits ein strenger Tonfall oder ein Erheben der Stimme für den Hund sehr unangenehm sein und eine Strafe darstellen.
KONTIGUITÄT UND KONTINGENZ
Zwei Bedingungen sind bei operanter Konditionierung wichtig:
- Kontiguität beschreibt den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verhalten und der Konsequenz. Idealerweise liegt dazwischen nur eine halbe Sekunde, jedoch maximal drei Sekunden.
Merke: Bei der Kontiguität geht es um ein gutes Timing.
- Kontingenz bezeichnet den Umstand, dass die Konsequenz auf das Verhalten des Hundes jedes Mal und ohne Ausnahme folgt.
Merke: Bei der Kontingenz geht es um Zuverlässigkeit.
Sind Kontiguität (Timing) und Kontingenz (Zuverlässigkeit) nur ungenügend erfüllt ‒ folgt also die positive oder negative Konsequenz nicht immer innerhalb des nötigen Zeitfensters von maximal 3 Sekunden ‒ findet keine operante Konditionierung statt. Somit kann der gewünschte Lerneffekt nicht eintreten.
WAS BEDEUTET DAS FÜR UNSER TRAINING?
Kommen wir zu unserem Beispiel vom Anfang zurück:
Du kommst nach Hause und dein Hund hat den Mülleimer geplündert. Wenn du dich jetzt vor deinem Hund aufbaust und ihn schimpfst, fügst du der Situation etwas Unangenehmes hinzu.
Was du dabei aber nicht beachtest, sind die Regeln der operanten Konditionierung, damit dein Handeln auch entsprechende Wirkung, nämlich die einer Strafe, zeigt. Einen Hund für etwas bestrafen zu wollen, das länger als drei Sekunden her ist, wird nicht funktionieren. Denn der Hund kann sein Verhalten (das Ausräumen des Mülls) nicht mit der Konsequenz (geschimpft bekommen) in Verbindung bringen. Er hat also keine Chance zu lernen, wofür er bestraft wird.
Aber auch wenn der Hund nicht jedes Mal gestraft werden würde, wenn er an den Müll geht, kann das das Lernen schwer bis unmöglich machen. In dem Moment, in dem für den Hund eine erwartete Strafe ausbleibt, verspürt er Erleichterung.
Diese verbindet er mit seinem Verhalten, sodass das unerwünschte Verhalten sogar noch zusätzlich verstärkt wird. Dabei ist es vollkommen egal, ob der Hund im Nachhinein noch bestraft wird oder nicht. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Effektiv wurde der Hund für das Ausräumen des Mülls also nicht bestraft. Es wird in Zukunft nicht weniger oft passieren. Man steht vor dem Problem, dass es unmöglich ist, Strafe regelkonform anzuwenden, wenn der Mensch sich beim Auftreten des Verhaltens nicht im Einwirkungsbereich des Hundes befindet.
Daraus wird ersichtlich, dass die Anwendung von Strafe im Alltag meist nicht so erfolgen kann, wie sie tatsächlich wirkungsvoll wäre. Auch bei unserem Beispiel werden die Regeln der operanten Konditionierung nicht eingehalten. Weder das richtige Timing noch die nötige Zuverlässigkeit sind gegeben. Für den Hund ist es somit unmöglich, aus einer solchen unangenehmen Einwirkung das Richtige zu lernen.
Nun schildern Hundehalter:innen aber immer wieder, ihr Hund hätte in solchen Fällen ein sichtlich schlechtes Gewissen. Warum knickt der Hund in den Läufen ein, wendet den Blick ab und zieht die Ohren nach hinten, wenn nicht, weil er genau weiß, dass er etwas falsch gemacht hat?
Einerseits kann der Hund an der Körpersprache des Menschen bereits erkennen, dass etwas im Argen liegt, wenn dieser das Chaos bereits bemerkt hat. Der Hund zeigt dann Konfliktzeichen als Reaktion auf das Verhalten und die Stimmung des Menschen.
Andererseits kann es aber auch passieren, dass der Hund dieses Verhalten in Zukunft auch schon zeigt, bevor sein Mensch das Malheur bemerkt hat. Nun, hier hat tatsächlich Konditionierung stattgefunden. Aber nicht so wie geplant.
Hier haben wir es mit einer klassischen Konditionierung zu tun. Dabei wird ein Reiz mit einer Reaktion verknüpft. In dem beschriebenen Fall hat der Hund sehr wahrscheinlich gelernt, dass das Nachhausekommen des Menschen etwas Unangenehmes ankündigt, sofern Müll auf dem Boden liegt. Dabei kommt es aber immer auf den individuellen Hund an, was er verknüpft. So kann es auch passieren, dass der Hund das Heimkehren seines Menschen generell oder etwas ganz anderes mit der unangenehmen Einwirkung verknüpft. Das oben beschriebene Verhalten ist dann als Meideverhalten zu interpretieren, das der Hund zeigt, wenn er einer Situation entfliehen möchte.
Ich möchte an dieser Stelle gerne eine kleine Anekdote anbringen, die Hundetrainerin Ariane Ullrich in ihrem ersten Hundekongress „Mehr Wissen rund um den Hund.“ über ihre eigenen Hunde schilderte.
Bevor sie zum positiven Training übergegangen war, strafte auch sie ihren Hund, wenn er beim Nachhausekommen den Mülleimer ausgeräumt hatte. Das führte dazu, dass ihr Hund nicht mehr an die Tür kam, um sie zu begrüßen, wenn er den Müll geleert hatte. Als zwei Jahre später ein zweiter Hund bei ihr einzog, konnte sie über die Kamera beobachten, wie der neue Hund den Mülleimer ausräumte. Als sie nach Hause kam, wurde sie nur von einem Hund begrüßt – dem Neuen. Ihr alter Hund hatte gelernt, dass ihn eine Strafe erwartete, wenn Ariane nach Hause kam und der Müll ausgeräumt war. Was er nicht gelernt hatte: Dass sein Verhalten die Strafe letztendlich auslöste. Er hat also nie eine Chance gehabt, die Strafe zu verhindern. Er wusste nicht, wie.
FOLGEN DER MISSACHTUNG BEI POSITIVER STRAFE
Der fehlende Lernerfolg ist aber bei einer fehlerhaften Anwendung von Strafe tatsächlich noch das kleinere Problem.
Der Hund kann die Strafe bei falschem Timing und/ oder fehlender Zuverlässigkeit nicht mit seinem Verhalten in Zusammenhang bringen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund andere Dinge als Auslöser der Strafe identifiziert, wie zum Beispiel das Herannahen seines Menschen. Weiter kann es zur Verunsicherung des Hundes kommen. Er weiß nicht, wann er von seinem Menschen etwas Unangenehmes zu erwarten hat und wann nicht. Das erzeugt Stress. Bei wiederholtem Auftreten kann es im schlimmsten Fall dazu kommen, dass der Hund den Eindruck bekommt, dass er mit seinem Verhalten die Strafe nicht verhindern kann. Dies äußert sich in einem depressionsähnlichen Zustand, den man erlernte Hilflosigkeit nennt. Dabei zeigt der Hund kaum mehr Interesse an der Umwelt, verhält sich sehr passiv und lässt alles widerstandslos über sich ergehen.
KONTIGUITÄT & KONTINGENZ BEI VERSTÄRKUNG
Auch bei der Anwendung von Verstärkern muss auf Kontiguität und Kontingenz geachtet werden, damit operante Konditionierung – sprich Lernen – stattfinden kann:
Kontiguität beim Verstärken bedeutet, dass wir dem Hund seine Belohnung innerhalb von maximal drei Sekunden nach dem gewünschten Verhalten zukommen lassen müssen. Wenn wir dem Hund ein neues Verhalten beibringen, sollten wir außerdem im Sinne der Kontingenz so lange jede korrekte Ausführung belohnen, bis der Hund das gewünschte Endverhalten standardmäßig zeigt. Korrekt ist dabei jede Ausführung, die unseren aktuellen Kriterien entspricht.
FAZIT
Wir können also festhalten: Egal ob Strafe oder Verstärkung – es ist nur dann wirksam, wenn die Regeln der operanten Konditionierung berücksichtigt werden. Jedoch sind die Folgen diesbezüglicher Fehler bei der Anwendung von (insbesondere positiver) Strafe für den Hund deutlich schlimmer als beim Training über Verstärkung.
Auch und insbesondere an Problemverhalten kann und sollte vorwiegend über positive/ negative Verstärkung trainiert werden.
Vor jedem unerwünschten Verhalten zeigt der Hund noch erwünschtes Verhalten, was verstärkt werden kann: Bevor der Hund seinen Erzfeind anbellt, ist er noch ruhig; bevor er am Besuch hochspringt, hat er noch alle vier Beine auf dem Boden. Zu jedem unerwünschten Verhalten gibt es ein geeignetes Alternativverhalten, das der Hund stattdessen lernen kann, zu zeigen. Auch ist es wichtig, das Erregungsniveau des Hundes im Blick zu haben.
In der Zwischenzeit gilt es, das unerwünschte Verhalten über Managementmaßnahmen zu verhindern. D.h. wir gestalten die Situation so, dass es dem Hund nicht möglich ist, das unerwünschte Verhalten zu zeigen. In unserem Fall könnten wir den Mülleimer schlichtweg wegräumen, sodass er für den Hund unerreichbar ist. Je nach Fall kann dies auch eine langfristige Lösung darstellen.
Außerdem gilt es immer, nach den Ursachen von unerwünschtem Verhalten zu suchen. So kann es zum Beispiel gut sein, dass der Hund in unserem Beispiel sich aufgrund von Trennungsstress nicht anders zu helfen weiß, als seinen Frust am Mülleimer auszulassen. Dann sollte nicht direkt am problematischen Verhalten, sondern zusammen mit einer oder einem qualifizierten und positiv arbeitenden Hundetrainer:in an dem ursächlichen Problem trainiert werden.
Es macht immer Sinn, genauer nachzuforschen und dem Hund eine achtsame und liebevolle Bezugsperson zu sein, statt ein weiterer Stressor in seinem Leben. Setz die Beziehung zu deinem Hund nicht durch unsachgemäßes Strafen aufs Spiel. Schaffe stattdessen geeignete Rahmenbedingungen und ein gutes Lernumfeld und bemühe dich, ihm deine Wünsche freundlich, fair und in Ruhe verständlich zu machen.