Prämedikation für Hunde und Katzen: Linderung von Angst und Stress beim Tierarztbesuch
Tierärztliche Untersuchungen und Behandlungen sind aus Sicht des Tiers oft unangenehm, schmerzhaft und übergriffig. Daher ist es kein Wunder, dass viele Tiere schon beim Anblick der Tierarztpraxis oder der Transportbox Stress und Angst empfinden. Abwehr- und Aggressionsverhalten sind unter diesen Umständen für viele Hunde und Katzen eine logische Reaktion, um die aus ihrer Sicht bedrohliche Situation schnellstmöglich zu verlassen. Doch auch Tiere, die sich nicht aktiv wehren, sondern aus lauter Stress bewegungslos verharren, rufen innerlich im übertragenen Sinne laut und verzweifelt um Hilfe.

Viele Hunde haben Angst in der Tierarztpraxis. Sie zittern, sind unruhig, hecheln stark und können und wollen manchmal nicht einmal mehr die sonst sehr beliebten Leckerchen nehmen. Manche erstarren und lassen alles über sich ergehen, doch wohl und sicher fühlen sie sich nicht. Wenn das bei dir so ist, dann bist du hier genau richtig, um deinem Hund oder deiner Katze zu helfen: Prämedikation Hund/Katze: Weniger Angst und Stress beim Tierarztbesuch! So wird der Termin entspannter für dein Tier. Elli ist in der Tierarztpraxis gelassen. Sie macht bereitwillig mit, lässt sich stressfrei behandeln und mag auch gerne zwischendurch besondere Leckereien nehmen. (Bilder: Mario Thieme)
Diese Angst mit den bekannten Worten „Da muss er jetzt durch!“ zu ignorieren und Abwehr- und Aggressionsverhalten mit Zwangsmaßnahmen zu begegnen, birgt einige Gefahren:
- Angst und Unwohlsein werden größer: Keine Kontrolle über den eigenen Körper zu haben, ist eine hochgradig beängstigende Situation. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und der damit einhergehende Kontrollverlust können von Mal zu Mal stärker werden und immer früher beginnen. Hat der Hund beim ersten Mal erst auf dem Tierarzttisch Zeichen von Stress gezeigt, beginnt die Angst irgendwann schon, wenn das Auto in die Straße einbiegt, in der sich die Praxis befindet, und die Katze flieht beim Öffnen der Kellertür unter das Sofa, weil sie das Heraufholen der Transportbox und den folgenden Transport zur Tierärzt:in befürchtet.
- Verletzungsgefahr für Tier und Menschen: Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen bei tierärztlichen Untersuchungen und Behandlungen birgt auch immer ein gewisses Verletzungsrisiko sowohl für das Tier als auch für die beteiligten Menschen. Nicht umsonst ist das Risiko für verletzungsbedingte Berufsunfähigkeiten bei keiner Berufsgruppe so hoch wie bei Tierärzt:innen.
- Vertrauensverlust: Wird ein Tier von seiner Bezugsperson immer wieder in eine Situation gebracht, in der es sich massiv unwohl fühlt, kann ein Vertrauensverlust entstehen, sowohl in die Bezugsperson als auch in Menschen allgemein. Das Risiko von Angst und Aggression in Alltagssituationen steigt.
Doch was tun, wenn ein Besuch in der Tierarztpraxis unumgänglich ist und die Zeit nicht ausreicht, das Tier durch Medical Training auf diese Situation vorzubereiten? Und wie kann man Individuen helfen, die in der Vergangenheit so schlechte Erfahrungen im Zusammenhang mit tierärztlichen Maßnahmen gemacht haben, dass Medical Training nur sehr langsam Erfolg zeigt?
Neben möglichst stressarmen Handlingsmethoden und Stressreduktion durch ruhigen, freundlichen und vorausschauenden Umgang kann eine geeignete Prämedikation eine wirkungsvolle Maßnahme sein, Angst und Stress zu lindern und den Patienten in die Lage zu versetzen, zu kooperieren.
WAS BEDEUTET „PRÄMEDIKATION“?
Unter einer Prämedikation versteht man die gezielte Gabe von angstlösenden oder beruhigenden Medikamenten vor dem Tierarztbesuch.
Das Ziel ist, dass das Tier schon zu Hause in eine entspannte Grundstimmung versetzt wird und Angst und Stress in der Praxis deutlich gemildert werden.
Diese Medikamente helfen dabei,
- Angst und Erregung zu senken,
- das Stresslevel zu reduzieren,
- und den Besuch für alle Beteiligten sicherer und ruhiger zu gestalten.
Wichtig ist: Prämedikation bedeutet nicht „ruhigstellen“ oder „narkotisieren“. Die Tiere bleiben ansprechbar, können sich bewegen und reagieren, empfinden aber deutlich weniger Stress und Angst.

Wenn Hunde übermäßig gestresst sind und Angst vor dem Tierarztbesuch haben, kann Prämedikation eine gute Möglichkeit sein, ihnen den Tierarzttermin deutlich zu erleichtern. Die Medikamente helfen zu beruhigen, sie stellen das Tier nicht ruhig oder machen es handlungsunfähig. Welche Prämedikation hilft deinem Hund oder deiner Katze? Informiere dich über passende Medikamente, um Angst vor dem Tierarztpraxisbesuch oder direkt während der Tierarztbehandlung zu lindern. (Im Bild zu sehen: Tierärztin, Expertin für Medical Training & Verhaltensprobleme Dr. Dorothea Johnen, Easy Dogs Coaching & Training Brandenburg und Berlin-Süd & Mischlingshündin Pica)
WIE LÄUFT DAS AB?
In Situationen mit großer emotionaler Belastung werden im Gehirn bestimmte Stresszentren aktiviert, die zur Ausschüttung von Stresshormonen führen. Allen voran ist der sogenannte Mandelkern („Amygdala“) verantwortlich für Stressreaktionen. Sie steuert typische Reaktionen, wie z.B.
- Flucht, Abwehrverhalten oder Erstarren
- Muskelanpannung, Zittern und Hecheln
- Erhöhte Herzfrequenz und Cortisolausschüttung.
Eine angstlösende Prämedikation greift frühzeitig in diese Regelkreise ein und blockiert sie teilweise, so dass Stress und Angst sich nicht, oder nur deutlich reduziert, entwickeln können. Das Tier wird dadurch emotional stabilisiert und kann die Situation ruhiger wahrnehmen und bewerten, ohne sofort in die „fight or flight“-Reaktion zu verfallen.
Die Auswahl der passenden Prämedikation erfolgt immer durch die Tierärzt:in. Dabei werden unter anderem folgende Faktoren berücksichtigt:
- Tierart (Hund oder Katze)
- Gewicht und Gesundheitszustand
- Verhalten und Stressreaktion
- Geplante Untersuchung oder Behandlung
Teilweise kann es mehrere Versuche benötigen, um eine für ein individuelles Tier passende Prämedikation zu finden, da die Wirkung sehr individuell ist und unterschiedliche Medikamentenkombinationen in verschiedenen Dosierungen zur Verfügung stehen. In manchen Fällen ist es sinnvoll, eine auf Verhaltensmedizin spezialisierte Tierärzt:in zu konsultieren, um eine passende Prämedikation zu ermitteln.
In der Regel wird die Prämedikation als orale Anxiolyse zu Hause in der gewohnten Umgebung in einem festgesetzten Zeitabstand zur geplanten Untersuchung gegeben. Die Wirkung setzt je nach Präparat nach ca. 30 Minuten bis 2 Stunden ein. Währenddessen sollte das Tier in einer ruhigen, sicheren Umgebung bleiben. Je entspannter das Tier beim Verabreichen der Prämedikation ist, umso besser ist meist die Wirkung. In Ausnahmefällen kann eine Prämedikation auch in der Praxis als Injektion gegeben werden, selbst wenn bereits eine gewisse Stresslast vorhanden ist.
PRÄMEDIKATION IST TEIL EINES GESAMTKONZEPTS
Prämedikation alleine ist kein Zaubermittel. Auch eine perfekte Prämedikation sorgt nicht dafür, dass ein Tier grobes Handling oder massiv schmerzhafte Eingriffe problemlos über sich ergehen lässt. Die Schwelle für Stress und Angst und damit für Abwehr- oder Aggressionsverhalten ist deutlich erhöht. Aber bei unsachgemäßem Handling oder massiver Überforderung kann trotzdem Angst ausgelöst und Abwehrverhalten provoziert werden.
Die medikamentöse Vorbereitung ist nur ein Baustein. Idealerweise wird sie kombiniert mit:
- Medical Training und Desensibilisierung (z. B. Training von Kooperationsverhalten, Training von entspanntem Festgehalten werden, Transportbox-Training, Praxisbesuche ohne Behandlung zur positiven Verknüpfung (Happy Visit))
- Einsatz positiver und negativer Verstärkung während Behandlungen und Untersuchungen (hochwertige Futterbelohnungen für kooperatives Verhalten, Beenden unangenehmer Maßnahmen, während ruhiges Verhalten gezeigt wird)
- Einfühlsamem Praxismanagement (ruhiger Umgang, kurze Wartezeiten, stressarmes Handling)
- Social Support durch die Bezugsperson (als angenehm empfundene Zuwendung und Körperkontakt anbieten, Co-Regulation, Verstärken erwünschter Verhaltensweisen)
- Einsatz von Schmerzmittel und Narkosen bei schmerzhaften Maßnahmen
- bei Bedarf Einsatz eines zuvor positiv auftrainierten, gut passenden Maulkorbs zum Schutz der beteiligten Menschen
So entsteht ein ganzheitlicher, tierschutzgerechter Weg zu einem entspannteren Tierarztbesuch.

Möglichst viele gute Erfahrungen sammeln! Manchen Hunden hilft es vor der Behandlung das Behandlungszimmer in eigenem Tempo und unangeleint selbst zu erkunden – und für manche Hunde ist es das absolute Highlight nach der Prozedur auf dem Tisch noch ein, zwei Leckerchen von der Tierärztin abzustauben. Oder man kommt auch einfach mal nur so ins Wartezimmer oder zum Happy Visit zur Tierarztpraxis des Vertrauens, um das Vertrauens- und Beziehungskonto wieder aufzufüllen.
Fazit
Stress, Angst und dadurch resultierendes „unkooperatives“ Verhalten während eines Tierarztbesuchs resultieren aus einem subjektiv empfundenen Kontrollverlust und gehören zum natürlichen Verhaltensrepertoire von Hunden und Katzen.
Wenn dein Hund oder deine Katze beim Tierarzt Angst oder Aggressionsverhalten zeigt, ist das ein Hilferuf.
Eine individuell angepasste Prämedikation kann helfen, diesen Stress zu reduzieren.
Sie schützt dein Tier, dich und das Praxisteam – und ermöglicht Untersuchungen in ruhiger, sicherer Atmosphäre.
Wenn du denkst, dass dein Tier von einer Prämedikation profitieren könnte, sprich deine Tierärzt:in darauf an und konsultiere im Zweifelsfall eine spezialisierte Verhaltensmediziner:in.
Veröffentlichungen zu ähnlichen Themen von Tierärztin und Verhaltensexpertin Dr. Dorothea Johnen:







