Bedürfnisse von Familienhunden kennen und erkennen
Die Bedürfnisse unserer Hunde zu erkennen und zu befriedigen, ist oft nicht so einfach. Zum einen muss man seinen Hund gut kennen, ihn beobachten und zum anderen muss man eine Vorstellung davon haben, welche Bedürfnisse es gibt und wie man diese typgerecht erfüllt.
Wie beim Menschen auch, kann man die Bedürfnisse von Hunden in unterschiedliche Kategorien einteilen. Als Grundbedürfnisse werden im Humanbereich unter Anderem Hunger, Durst und Schlaf- bzw. Ruhebedürfnis genannt – zusammenfassend alle physiologischen Bedürfnisse, die das Überleben des Körpers sichern. Sind diese befriedigt, so kommen weitere Bedürfnisse nach Sicherheit, Angstfreiheit und Gesellschaft hinzu. Im Grunde wieder, um den Körper und Geist gesund zu erhalten. Alles in allem können wir diese Bedürfnisse als Defizitbedürfnisse beschreiben.
Defizitbedürfnisse und deren Erfüllung stellen die Voraussetzung für weitere, mehr oder weniger geistige Bedürfnisse dar. Das heißt, sind sie nicht erfüllt bzw. befriedigt, wird es äußerst schwer bis unmöglich, sich sozial zu engagieren oder das Bedürfnis nach Anerkennung zu entwickeln, glücklich und zufrieden zu sein, geschweige denn sich selbst zu verwirklichen.
FÜR UNSERE HUNDE KÖNNEN WIR DIESE DEFIZITBEDÜRFNISSE WIE FOLGT ZUSAMMENFASSEN:
Hunger – täglich frische, gut verträgliche, individuell passende Mahlzeiten. Als Hundehalter steht man hier ggf. schon vor der Herausforderung zu erkennen welches Futter dem eigenen Hund guttut. Schmecken soll es ihm und alle wichtigen Vitamine und Mineralien liefern. Wer besonderen Wert auf gesunde Ernährung legt, wird bei seinem Hund, wie bei sich selbst, genau auf die Zutaten (Herkunft, Herstellung, Verarbeitung bzw. Zusammensetzung, Ethik u.A.) achten und evtl. sogar das Hundefutter selbst und frisch zubereiten.
Durst – immer ausreichend Trinkwasser. Der Hund sollte immer Zugang zu frischem Trinkwasser haben, auch wenn manche Hunde das Wasser aus Pfützen und Pflanzenuntersetzern auch ganz gern mögen. Es lohnt sich für Hundehalter, sich zu informieren, welche Bakterien oder Erreger in Brackwasser entstehen können, um die Aufnahme zu verhindern. Achtung auch vor giftigen Gegenständen wie Zigarettenstummel oder ähnlichem. Im besten Fall trainieren Sie mit Ihrem Hund, dieses Wasser nicht zu trinken. Dabei sollte stets eine Alternative geboten werden. Viele Hundehalter haben heute bereits beim Gassi gehen, auf Wanderungen oder Trainings neben der eigenen Wasserflasche noch eine weitere für ihren Hund dabei. Auch sind wir als Hundehalter dafür verantwortlich, Näpfe und Trink- sowie Fressplätze unserer Hunde regelmäßig gründlich zu reinigen, um die Keimbelastung so gering wie möglich zu halten.
Schlaf – wir alle müssen schlafen. Hunde haben je nach Alter, Größe, Rasse, etc. ein Schlaf- und Ruhebedürfnis von ca. 16 Stunden. Dies ist höchst individuell, ist also auf keinen Fall als festgesetzte Marke zu sehen. Hier gibt es keine allgemeingültige Regel daher ist es umso wichtiger zu erkennen, wann der eigene Hund Schlaf benötigt. Wichtig ist auch, dass es sich nicht um reine Tiefschlaf-Zeit handelt, vielmehr kann man von Ruhephasen sprechen. Im menschlichen Alltag kann man das wohl am ehesten mit Frühstücks-, Kaffee- oder Mittagspausen und der Nachtruhe vergleichen. In der Mittags- oder Kaffeepause entspannen wir, schlafen aber in aller Regel nicht fest. Als Hundehalter sollte man dem eigenen Hund mehrere Liegeplätze an geschützten Orten zur Verfügung stellen. So kann der Hund sich im Bedarfsfall auch zurückziehen. Gerade im familiären Umfeld mit Kleinkindern ist dies äußerst wichtig, Familien mit kleineren Kindern sehe ich dies als äußerst wichtig an, damit der Hund sein Ruhebedürfnis stillen kann. Auch hier schadet es nicht, auf die Bedürfnisse unserer Hunde, z.B. bei der Auswahl der Liegefläche bzw. des Körbchens, der Matte, etc. einzugehen. Je nach Vorliebe des Hundes kann der Liegeplatz etwas härter oder sehr weich, eher dünn und kühler oder richtig dick und warm sein, ähnlich der Auswahl der passenden Matratze für das eigene Bett.
Warum Schlaf- und Ruhepausen so unentbehrlich sind, sehen wir auch bei Kindern. Aus eigener Erfahrung kann ich von Familienfeiern berichten, bei denen die Kinder, die normalerweise längst im Bett lägen, um 21:00 Uhr nochmal richtig aufdrehen. Das ist meist der Zeitpunkt, an dem etwas zu Bruch geht, ein Kind sich anhaut, weint oder zwei sich streiten, etc.. Meine Mutter pflegte dann immer zu sagen: „Nach müd‘, kommt blöd.“ Und so ist es tatsächlich: Übermüdete Menschen neigen ebenso wie übermüdete Tiere zu Emotionalität, zu Kurzschlussreaktionen, Konzentrationsverlust und Impulsivität. Das kann nicht nur bei uns Menschen, sondern auch bei unseren Hunden zu Konflikten, im Inneren, aber auch in äußeren, sozialen Kontexten, führen.
Sicherheit – geht alle an! Tiere haben, wie wir Menschen, das Bedürfnis nach Sicherheit, das es zu erfüllen gilt. Wie ließe sich sonst erklären, dass sich Tiere in Höhlen verkriechen, Löcher graben, Burgen und Nester bauen? In früheren Zeiten tat dies der Mensch auch: Zuweilen hat er Burgen gebaut. Heute suchen wir Zuflucht in Häusern, Wohnungen, Zelten, Hotels und Hostels. Die Tatsache, bei Regen ein Dach über dem Kopf zu haben und bei Blitz, Donner und Wind schützende Wände um sich zu haben, wirkt schon sehr beruhigend. Für unsere Hunde gilt dies ggf. sogar innerhalb unserer vier Wände. Viele Hunde mögen es, sich in Körbchen oder kleinen Hütten einzukuscheln. Bei geräuschempfindlichen Hunden empfehle ich sogar einen kleinen, gedämmten Raum als Sicherheitszone zur Verfügung zu stellen. Das Gefühl des Kontrollverlustes steht im groben Widerspruch zum erfüllten Sicherheitsbedürfnis. Grundsätzlich handelt es sich bei der Emotion Angst um einen sehr großen Motivator für Flucht oder Aggressionsverhalten. Diese Emotionen empfinden weder wir, noch unsere Hunde als angenehm und sie haben einen immens negativen Einfluss auf die Erfüllung des Sicherheitsbedürfnisses.
Sind die Grundbedürfnisse erfüllt, so ergeben sich, wie eingangs erwähnt, neue zumeist soziale Bedürfnisse, zum Beispiel nach Eingebundenheit, dem Gefühl Teil einer Gesellschaft zu sein und Anerkennung innerhalb dieser zu erhalten.
In unserem Alltag streben wir meist nach Anerkennung in der Partnerschaft, im Beruf oder unserer Freizeit. Wertschätzung/Anerkennung von dem/der Chef*in oder Glückwünsche zum gewonnenen Spiel sind für viele Zucker für die Seele und wir stellen fest: Auch unsere Hunde bekommen gern diesen stolzen Glanz in den Augen, der sagt: „Das habe ich gut gemacht bzw. ich werde geschätzt.“ Es entsteht ein „Ich bin wertvoll“- Gefühl. Nicht nur bei uns, auch bei Tieren. Erfolgserlebnisse sind extrem wichtig, im Training aber auch in der ganz alltäglichen Erziehung von Hunden. Lob und Anerkennung (Verstärker) fördern erwünschtes Verhalten und die oft zitierte Kleinschrittigkeit garantiert kleine Erfolgserlebnisse und positive Emotionen bei unseren Hunden. Ein gemeinsames Hobby oder gemeinsame Abenteuer fördern darüber hinaus die Bindung und haben großen Einfluss auf die Qualität der Beziehung zwischen uns und unseren Hunden. Zuletzt erfreuen wir uns als Mensch doch auch an ausgelassenem, (aus unserer Sicht passendes, erwünschtes) freundlichen Verhalten unserer Hunde.
SELBSTVERWIRKLICHUNG
Das Bedürfnis nach innerer Zufriedenheit und Selbstverwirklichung zu erfüllen, ist bisweilen auch für uns Menschen in dieser, von und für den Mensch gemachten, Welt, nicht einfach. Diese Bedürfnisse gehören nicht in die Kategorie der defizitären Bedürfnisse, sondern spiegeln vielmehr Wachstumspotenziale wider.
Was könnten wir nicht alles tun, wenn all unsere Bedürfnisse dauerhaft befriedigt wären? Wir könnten endlich so kreativ sein, wie wir immer wollten, und eine eigene Schmuck- oder Modeserie herausbringen, wir könnten unser Hobby zum Beruf machen oder einfach weiter lernen und ein/e große*r Philosoph*in oder Denker*in sein.
Jetzt sehen wir schon, wo die Schwierigkeit liegt. Einfach ausgedrückt: Das Leben ist teuer, wir haben wenig Zeit und die müssen wir meist für einfachere, elementare Bedürfnisse aufwenden. Auch wenn wir uns um die Bedürfnisse anderer kümmern, um uns in Wahrheit selbst gut zu fühlen. Individuelle Entfaltung hängt auch stark von Erziehung, Charakter und gemachten Erfahrungen sowie Moral und ethischen Vorstellungen ab.
Ich könnte mir vorstellen, dass ein Kind, welches überwiegend Kritik, Korrektur oder sonstiger nicht förderlicher Erfahrungen ausgesetzt ist, und welches keine oder ungenügend Anerkennung und soziale Nähe erfährt, später in seinem Leben Schwierigkeiten hat, glücklich zu sein. Zufriedenheit mit sich selbst zu fühlen.
Ich behaupte, für unsere Hunde gilt dies auch. Wer seinen Hund mit aversiven Trainingsmethoden trainiert, im alltäglichen Leben Bedürfnisse unerfüllt lässt oder Verhalten straft, statt zu hinterfragen, führt den Hund in einen Zustand, in dem er kein oder nur punktuell, d.h. ungenügend Glück empfinden kann. Mit der Selbstverwirklichung, dem Ausleben individueller Bedürfnisse, wird es dann schwer.
Die individuellen Bedürfnisse unserer Hunde können wir nicht alle auflisten. Sie können und dürfen so vielfältig wie unsere Hunde oder wir selbst sein. Diese müssen wir als Mensch, da unsere Hunde es uns nicht einfach sagen können, durch Beobachtung und ausprobieren herausfinden. Ein Mittel dafür ist es, dass Ausdrucksverhalten unserer Hunde zu kennen, denn darüber können wir viel über akute Bedürfnisse ableiten und direkt Bedürfnisbefriedigung betreiben.
Zum Beispiel, wenn mein Hund vor mir eine Vorderkörpertiefstellung (Playbow) zeigt und kurz “provozierend” knurrt, danach sofort zum Wegspringen ansetzt, dann steht dies für sein Bedürfnis nach sozialem Kontakt, konkret nach einem Rennspiel, wie es Terrier oft bevorzugen. Wenn er dabei eines seiner Spielzeuge im Fang hat, soll es womöglich ein Zerrspiel werden. Was spricht dagegen, diese Bedürfnisse direkt zu befriedigen? Der Mythos, „Der Hund darf nie mit dem Spiel beginnen!“ „Der Mensch muss das Spiel beginnen und beenden!“ – Alles Quark und wissenschaftlich widerlegt! Für unsere Hunde sind wir oft Sozialpartner Nr. 1 und oberste/r Bedürfnisbefriediger*in. Dieser Verantwortung sollten wir uns bewusst sein.
Genauso wichtig ist es für Hunde, Hund zu sein. Individuelle Bedürfnisse unserer Hunde drehen sich nicht nur um und mit dem Sozialpartner Mensch. Artgenossen, Umwelterkundung, das Ausleben natürlicher Instinkte oder einfach mal in Ruhe zu schnuppern, weisen einen direkten Zusammenhang mit der Zufriedenheit auf. Aber auch diese sind so unterschiedlich ausgeprägt wie die Fellfärbungen von Zebras oder unser Fingerabdruck. Keiner ist gleich. Daher ist es umso wichtiger, dass Hundehaltende ihre Tiere gut beobachten und lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und auf sie zu reagieren, um der Seele unserer Tiere auch die Möglichkeit zur Entfaltung zu geben. Das bloße Lesen einer Rassebeschreibung reicht hier nicht aus. Man muss sich mit dem Charakter des Hundes auseinandersetzen und beschäftigen. Seinen Hund kennenlernen und auf ihn/ sie zugehen.